Die kurdische Region im Nordirak erhält seit Februar keine Gelder von der Zentralregierung in Bagdad. | Das hat Auswirkungen auf die bisher florierende Wirtschaft der Region - aber auch auf den Kampf gegen den Islamischen Staat.
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Erbil. Nicht lange nach dem Einsetzen der Wirtschaftskrise in Europa begannen Kurden aus dem Nordirak, die in den 1990er Jahren vor der Unterdrückung Saddam Husseins geflohen waren, in Scharen aus Großbritannien, Schweden oder Deutschland zurückzukehren. Freilich freuten sie sich darüber, wieder in ihrer Heimat zu leben. Haupttriebfeder war aber bei vielen – während die Jobsituation in Europa immer prekärer wurde – der wirtschaftliche Aufstieg der kurdischen autonomen Region. Die Aufbruchstimmung hatte nicht nur die Hauptstadt der Region, Erbil, das bereits als "Dubai des Irak" bezeichnet wurde, erfasst. In allen drei Provinzen schossen Neubauten wie Pilze aus dem Boden, Firmen wurden gegründet und internationale Konzerne verlegten ihre Sitze hierher. Damit ist es jedoch vorerst vorbei.
Das Ende der wirtschaftlichen Euphorie hat mehrere Gründe. Als triftigsten führen die Kurden die "Finanzblockade" ins Treffen. Die Zentralregierung in Bagdad hat die Zahlungen an die autonome Region – eigentlich sollte sie 17 Prozent des irakischen Staatshaushaltes erhalten – seit Februar eingestellt. Hintergrund des Budgetstreits ist die Einnahmenverteilung aus dem Erdöl- und Erdgasgeschäft. Bagdad verwaltete bisher die Erlöse aus den einzigen gewinnträchtigen Ressourcen des Landes. Aber in Irakisch-Kurdistan will man immer weniger vom Gutdünken Bagdads abhängig sein und verlangt mehr Mitspracherecht bei den Verkäufen. Schließlich begann man selbstständig mit dem Verkauf von Öl, was Bagdad als illegal betrachtet.
Das Gros des Haushalts wird in Irakisch-Kurdistan wegen des aufgeblähten Verwaltungsapparates für Gehälter verwendet. Laut kurdischen Offiziellen hat sie Gehälter für zwei Millionen Menschen zu berappen – bei fünf Millionen Einwohnern. Aufgrund der fehlenden Überweisungen aus Bagdad werden die Löhne nur mit monatelangen Verspätungen bezahlt.
Die restlichen Gelder sind vor allem für die wirtschaftliche Entwicklung der Region vorgesehen. Wie lokale Medien berichten, stocken aufgrund der "Finanzblockade" die Investitionen der Autonomieregierung aktuell massiv. Laut kurdischer Investoren-Vereinigung wurden mehr als 3000 Investitionsprojekte auf Eis gelegt; in den vergangenen Monaten haben bereits mehr als 400 Firmen Konkurs angemeldet. "Die gesamte wirtschaftliche Entwicklung ist lahmgelegt, wir haben alle Projekte stillgelegt in den vergangenen Monaten, da sie nicht finanziert werden können", erklärt ein Regierungsbeamter, der namentlich nicht genannt werden wollte.
Die Regionalregierung hat aber nicht nur Sorge, die eigenen Ausgaben abzudecken. Die fehlenden Gelder treffen auch die Versorgung der 1, 4 Millionen registrierten Flüchtlinge vor Ort massiv.
Laut lokalen Medien versuchen die Kurden, die einen Teil der notwendigen Gelder durch Ölverkäufe abdecken und diese bis Jahresende ausweiten wollen, nun auch an ausländische Kredite zu gelangen. Bisher vergeblich, wie es aus Erbil heißt: Da die Region kein souveräner Staat ist, wären Geldgeber zurückhaltend, auszuhelfen.
"Es ist völlig klar, dass die Budgetprobleme auch die Möglichkeiten, mit der Sicherheitskrise fertigzuwerden, einschränken", sagt ein Berater des Innenministeriums in Erbil. Auch die Peschmerga, die Sicherheitskräfte der Region, die seit Wochen gegen den Ansturm des Islamischen Staats ankämpfen, haben seit zwei Monaten keine Gehälter bekommen. Die Waffenlieferungen durch andere Länder, die die Kurden unterstützen, seien zwar gratis. Aber es klaffe eine große Lücke zwischen dem, was sie an Waffentechnik erhalten, und dem, was die Kurden gerne hätten.
Innerkurdisch gibt es aber auch Kritik, man hätte sich vor dem eigenständigen Ölverkauf einen Notfallplan überlegen sollen. In Erbil hofft man nun, da es eine neue Regierung in Bagdad gibt, mit dieser bald auf einen grünen Zweig zu kommen.