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"Legal überlebt die Gastro nicht"

Von Marina Delcheva und Clemens Neuhold

Politik

Schwarzes Geld ist Alltag in der Gastronomie. Wird stärker kontrolliert, überleben manche Wirte nicht.


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Wien. Fritz. Sechs Krügerl. Rechnung offen. Jadranka P. klappt ihren Collegeblock zu - ihre Registrierkasse. Auf der Seite mit den unbezahlten Rechnungen stehen noch ein paar andere Namen. "Die zahlen dann am Anfang des Monats", sagt die Wiener Wirtin. Wenn das Arbeitslosengeld wieder ausbezahlt wird. Aus ihrem Collegeblock soll ab dem 1. Jänner 2016 eine elektronische Registrierkasse werden. Eine Smartcard, die gegen Manipulationen schützen soll, soll die Prüfung durch die Finanz einfacher machen.

Die Bundesregierung hat im Zuge der Steuerreform dem Steuer- und Sozialbetrug den Kampf angesagt. 1,9 Milliarden Euro will sie sich unter anderem mit einer Registrierkasse auch für kleine Betriebe holen.

Vor allem Wirte und Gastronomiebetriebe steigen nun auf die Barrikaden und werfen der Regierung vor, ein "Wirtesterben" beschlossen zu haben. Der Tenor in der Branche: Die Registrierkassenpflicht, die Anschaffungskosten dafür und all die weiteren strengen Kontrollen überleben die Betriebe nicht. "Sie wollen uns Kleine umbringen", sagt Jadranka P. Sie zahle ohnehin ihre Steuer und ihre drei Angestellten seien angemeldet. "Warum verfolgen die nicht die Großen, Ikea, die können sich alles richten!", schimpft sie.

Ist die Gastronomie im Zuge der Betrugsdebatte zu Recht ins Schlaglicht geraten? Wie groß ist die Misswirtschaft beim Wirten wirklich und könnte die Branche mit ihren 200.000 Beschäftigten überleben, wenn sie streng nach den Buchstaben des Gesetzes arbeitete?

"Legal überlebt die Gastro nicht", sagt die ehemalige Geschäftsführerin eines kleinen, italienischen Restaurants in Wien, Bianca S. Sie will, wie alle Gesprächspartner der "Wiener Zeitung" zum Thema, anonym bleiben. Denn sie alle haben viel über schwarzes Geld und schwarze Löhne zu erzählen. Bianca S. war nur geringfügig gemeldet und bekam den Rest vom Inhaber bar auf die Hand. Dafür braucht es Schwarzgeld. "Mindestens 20 Prozent gaben wir nicht an. Das war normal", erinnert sie sich.

Die Arbeiterkammer (AK) schätzt, dass ein Drittel des Umsatzes in der Gastronomie "schwarz" eingefärbt ist. Bei einer Stichprobe 2013 waren außerdem von 371 Befragten knapp die Hälfte der Beschäftigten falsch bei der Gebietskrankenkasse gemeldet - das heißt, weit unter der wahren Stundenzahl pro Woche. Selbst Arbeitslose bilden ein beliebtes Reservoir für die Gastro. Sie dürfen geringfügig dazu verdienen. Die Verlockung, den Rest oben drauf zu legen, scheint vor allem in der Gastro groß, bestätigen AMS-Mitarbeiter.

"Preise rauf und dann können wir alle überleben und Steuern und Lohnnebenkosten zahlen", kommentiert Willy Turecek, Obmann der Sparte Gastronomie in der Wirtschaftskammer die Praktiken trocken. Die Umsätze, die viele kleine Wirte machen, stünden in keinem Verhältnis zu den Mieten, Abgaben und Einkaufskosten. Dafür seien die Preise, die Wirte verlangen, oft zu niedrig. Ein Schnitzel beim Eckwirten um 20 statt um zehn Euro?

"Der Großteil der Kosten wird beim Personal gespart. Man muss an die Gäste appellieren, zu überlegen, was sie am Teller haben", sagt auch Berend Tusch. Er ist Gewerkschafter bei der vida, Chef der Sparte Gastronomie. "Wenn das Schnitzel 20 Euro kostet, kommt niemand mehr", sagt Bianca S. Tusch verlangt deswegen härtere Kontrollen der Finanz und des Arbeitsinspektorates, die alle gleichermaßen treffen. "Ja, es würde dann viele Betriebe nicht geben. Aber solche Jobs braucht eh niemand. Das würde unsere Gesellschaft und unser Arbeitsmarkt aushalten." Gerade Junge reißen sich aber oft um die prekären Jobs, weil sie dem Anreiz des schnellen Geldes erliegen. "Und wenn man krank ist oder in Pension geht, kommt das böse Erwachen", sagt Tusch. Bianca S. ist 40 und hat kürzlich ihr Pensionskontostand bekommen: 150 Euro. Sie hätte eine legale Beschäftigung mit 13. und 14. Gehalt und allen Sozialabgaben vorgezogen. Vom jetzigen System würden am Schluss nur die Kunden und Chefs profitieren.

Wobei die Kunden doppelt bevorzugt werden - durch niedrige Preise und die hohe Lokaldichte, die mit höheren Personalkosten nicht möglich wäre. Die Chefs hingegen kratzen nicht selten am Limit. "Wenn du ehrlich bist, verdienst du gar nichts. Das ganze System ist so aufgebaut", sagt ein Mann, der anonym bleiben möchte. Er hilft im Feinkostladen seiner Tochter in Wien Meidling aus, weil diese krank sei. Angestellte hat sie nicht. Bei den jetzigen Umsätzen können man sich noch keine Angestellten leisten.

Lokale wie jene von Jadranka P. am Meidlinger Markt machen an guten Tagen Umsätze in der Höhe von 600 bis 700 Euro. Davon müssen Mieten, Gehälter und die Ware bezahlt werden. Zum Leben bleibe "ihr ein bissl was". Urlaub: ein paar Tage im Jahr. Auf der anderen Seite gibt es Gaststätten, die an schönen Sommertagen regelmäßig 20.000 Euro umsetzen, die jetzt schon eine Registrierkasse haben. Hoher Umsatz fördert die Ehrlichkeit in der Gastro aber nicht automatisch. "Ich weiß von Kollegen, dass die Betriebe, die finanziell gut da stehen, am meisten hinten rum machen. Denn richtig gut Steuern hinterziehen kannst du natürlich mit viel Geld", sagt ein Spitzenkoch aus Tirol. "Und wenn sich die Pacht nach dem Umsatz misst, ist es ebenfalls ein großer Anreiz, wenig offiziell anzugeben."

Eine ehemalige Kellnerin, die in einem Bräuhaus kellnerte, berichtet von großzügigen Manipulationen im Boniersystem. "Wir durften nur eine Mehrwertsteuerrechnung herausgeben, wenn der Kunde darauf bestand." Der Hintergrund: Gibt es nur einen Beleg, also keine Rechnung, kann man im Nachhinein im System das eine oder andere Bier oder Essen wieder aus den Aufzeichnungen löschen und den Umsatz schmälern. Das soll mit der künftig eingesetzten Software nicht mehr möglich sein. "Die Chefs haben damit super verdient - und natürlich auch wir." Mit drei Diensten pro Woche hat sie damals fast so viel wie jetzt in Vollzeit verdient. Dafür arbeitet sie nicht 16, sondern 10 Stunden täglich und zahlt in die Pensionskasse ein. Sie ist gut ausgebildet. Wer das nicht ist, denkt bei 500.000 Arbeitslosen nicht an die ferne Pension, sondern ans nächste Trinkgeld.