UN-Drogenchef Juri Fedotow im Interview.
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"Wiener Zeitung": Das internationale Gremium "Global Commission on Drug Policy" mit so prominenten Mitgliedern wie UN-Generalsekretär Kofi Annan, Ex-Nato-Generalsekretär Javier Solana oder dem ehemaligen US-Notenbankchef Paul Volcker hat in seinem letzten Bericht Forderungen in Richtung Drogenliberalisierung gestellt. Hat Sie diese Haltung überrascht?
Juri Fedotow: Ich habe Vertreter dieser Kommission vergangene Woche getroffen. Die haben versucht mir zu erklären, dass diese Forderungen anders gemeint waren. Es gehe der Kommission nicht um Liberalisierung, sondern vielmehr um Reglementierung. Grundsätzlich stehen viele der Empfehlungen der Kommission im Einklang mit dem, was in der gemeinsamen Ministererklärung zur Drogenproblematik dieses Jahr beschlossen wurde. Bei der UN-Konvention geht es nicht um ein Verbot, sondern um Kontrolle. Es gibt zwei Fälle, in denen der Gebrauch von Drogen - beziehungsweise kontrollierter Substanzen, wie sie bei der UNO heißen - erlaubt ist. Erstens zur medizinischen Behandlung und zweitens zur wissenschaftlichen Forschung. Die Kommission sagt jetzt, dass unter Punkt zwei Experimente zur kontrollierten Abgabe durchgeführt werden können. So weit die Erklärung der Kommission, aber Sie haben natürlich recht, dass die allgemeine Wahrnehmung dahin gehend war, dass der letzte Bericht auf die Liberalisierung bestimmter Substanzen wie Cannabis abzielt.
Und - wie stehen Sie zu Experimenten dieser Art?
Der Vorschlag, die Märkte rechtlich zu regulieren, steht in klarem Widerspruch zum bestehenden internationalen Recht auf dem Gebiet der Drogenkontrolle. Noch dazu könnte diese Art von Experimenten zu einem erhöhten Drogenkonsum führen und die Verantwortung, die Produktions-, Transit und Konsumländern teilen, untergraben.
In Österreichs Politik gibt es derzeit auch Rufe nach einer Cannabis-Legalisierung. Was sagen Sie dazu?
Das zu debattieren steht jedem Land frei. Wir, die UNO, unterstützen lediglich die Staaten dabei, ihr eigenes Rechtsinstrument zu implementieren. Von der EU generell und Österreich speziell ist aber stets ein Bekenntnis zu den bestehenden UN-Drogenkonventionen gekommen. In Österreich ist es auch so, dass das Drogenproblem nicht groß ist. Fünf bis sieben Prozent der Bevölkerung sind betroffen, die Aufdeckungsrate ist stabil. Ich hoffe, dass das so bleibt.
Uruguay, die USA, die Niederlande, Tschechien - immer mehr Länder verschreiben sich einer liberalen Drogenpolitik. Ist das eine zukunftsweisende Tendenz?
Die Drogenpolitik beruht auf drei Konventionen zur Drogenkontrolle. Die Unterzeichner dieser Konventionen glauben daran, dass diese eine Art Baustein für jede Politik sind, die versucht, der Bedrohung durch illegale Drogen zu begegnen. Heuer wurde in der Deklaration, die von allen Mitgliedstaaten unterzeichnet wurde, die Konventionen bekräftigt. Es gibt allerdings einen sehr starken Ruf danach, die Konvention im Geiste der ursprünglichen Idee durchzusetzen. Dabei geht es darum, die Gesundheit und das Wohlergehen der Menschheit zu schützen. Drogenkonsum muss als das anerkannt werden, was er ist: ein gesundheitliches Problem und kein strafrechtliches oder moralisches. Wir müssen den Leuten helfen, sich vom Drogenmissbrauch zu erholen und von den damit verbundenen Krankheiten wie HIV, Hepatitis C, Tuberkulose und so weiter. Alle diese Patienten sollen nicht als Kriminelle behandelt werden, sondern gemäß der Konvention von 1961 als Menschen, die Fürsorge, Behandlung, Medikation und soziale Integration benötigen.
Was halten Sie grundsätzlich von den aktuellen Liberalisierungstendenzen?
Es ist, wie gesagt, das Recht der Mitgliedstaaten, über die Zukunft des bestehenden Systems zur Drogenkontrolle zu debattieren. Als Chef des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung ist es aber meine Aufgabe, die Führung innerhalb dieses Systems zu übernehmen. Mein Standpunkt ist es, dass die Legalisierung nicht die Lösung für das Drogenproblem der Welt ist. Auch allfällige Zusätze und Erweiterungen der Konventionen werden nicht das Ziel erreichen, die Gesundheit und das Wohlergehen der Menschheit zu schützen.
Marihuana hat ja ein Image als nette Droge von nebenan. Dann sind da aber noch schwere Jungs wie Heroin und Kokain. Würde bei diesen auch das Tor zur Liberalisierung geöffnet?
Zuerst einmal: Marihuana ist nicht so harmlos, wie es oft dargestellt wird. Medizinische Untersuchungen haben gezeigt, dass es sehr schädlich sein kann, speziell für das Gehirn junger Menschen. Zweitens ist Cannabis die meistkonsumierte Droge der Welt. Die Pflanze wächst ja praktisch überall. Ein besonderer Stellenwert kommt dem Herumexperimentieren und dem Entstehen neuer Sorten zu, die einen hohen Wirkungsgrad haben. Normale Pflanzen haben einen Wirkungsgrad von fünf Prozent. Die neuen Sorten, die Sie auf Ihrer Fensterbank züchten können, erreichen teilweise Stärken von bis zu 25 Prozent. Das macht die Droge sehr stark. Umfragen zeigen, dass Marihuana die Einstiegsdroge für gefährlichere und schlimmere Drogen ist. Die wenigsten Heroinsüchtigen haben gleich damit begonnen, sich zu spritzen. Die meisten haben mit Marihuana angefangen.
Wie schwer ist es, Drogen zu kontrollieren? In den USA konnte der Konsum eingedämmt werden, dafür steigt dort der Heroinkonsum. In Österreich wiederum nimmt der Kokainkonsum zu.
Hier liegt das wahre Problem. Der weltweite Drogenkonsum ist stabil - er steigt zwar leicht an, das steht aber in direkter Relation zum Anstieg der Weltbevölkerung. Es gibt den sogenannten Ballon-Effekt. Das heißt, wenn in einer Region der Welt der Drogenkonsum abnimmt, nimmt er in einer anderen Region zu. Während der Kokainkonsum in den USA zurückging, vervierfachte er sich in Westeuropa. Es bilden sich da auch immer neue Handelswege. Bis jetzt gab es für Heroin aus Afghanistan zwei Routen: Die erste, die über Russland führte, und die zweite, die über den Iran und die Türkei ging. Jetzt haben wir eine neue Südroute, die über das Meer führt mit den Stationen Pakistan, Golfstaaten, Ostafrika, Westafrika und von dort überallhin. Es ist auch so, dass der Rückgang einer Droge oft das Aufkommen anderer Drogen bewirkt. So hat etwa das erfolgreiche Vorgehen gegen Heroin in Europa zum Aufkommen synthetischer Drogen geführt.
Was kann man da tun?
Wir benötigen eine ausgewogene Herangehensweise. Wenn es eine Nachfrage gibt, wird es immer ein Angebot geben. Deshalb muss man auch bei der Nachfrage ansetzen, bei der Prävention. Es ist die leichteste und billigste Art, mit der Drogengefahr umzugehen. Ein weiterer Punkt ist es, arme Bauern zu unterstützen, die dazu gezwungen sind, illegale Pflanzen anzubauen, und sie dazu zu bringen, auf legale umzusatteln. Die Erfolge in Kolumbien und Peru haben gezeigt, dass das keine Fiktion ist. In Kolumbien etwa wurde der Kokaanbau in den vergangenen 10 Jahren halbiert.
Die Alternative für Bauern funktioniert offenbar nicht immer. In Afghanistan ist trotz mehrerer Anreize und Projekte der Anbau von Schlafmohn gestiegen. Ist die Strategie dort fehlgeschlagen?
Unglücklicherweise machen wir in Afghanistan keine Fortschritte. Dabei ist das Land der Nummer-1-Produzent von Heroin und Opium in der Welt. Und wir erwarten sogar noch einen weiteren Anstieg der Produktion. Ich werde schon sehr bald nach Kabul fahren, um mit dem neu gewählten Präsidenten die Situation zu besprechen und sie zu einem stärkeren Vorgehen zu bewegen. Es gibt zwar einzelne Erfolge, aber, was derzeit getan wird, ist klar zu wenig. Die Schattenwirtschaft macht zwischen 10 und 20 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes aus - das ist sehr viel. Als ich das letzte Mal in Afghanistan war, habe ich mit Bauern gesprochen, die bereit wären, auf legale Bepflanzungen umzusteigen. Das Problem ist jedoch, dass es dafür an Infrastruktur und Märkten mangelt.
Juri Fedotow ist Russe und hatte mehrere Posten bei der UNO inne und war zwischenzeitlich russischer Vize-Außenminister. Seit Juli 2010 ist er der Leiter des UN-Büros für Drogen- und Kriminalitätsbekämpfung.