Die Revolutionen in Nordafrika haben alle überrascht, vor allem die jahrzehntelangen Diktatoren, aber auch deren ausländische Protektoren, nicht zuletzt auch die meisten Kommentatoren.
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Während in Libyen noch ein blutiger Machtkampf tobt, befinden sich Ägypten und Tunesien bereits auf dem Weg der Verwirklichung der Revolutionsziele. Und machen dabei eine Erfahrung, die bereits viele Revolutionen im Laufe der Geschichte gemacht haben: dass nämlich die tatsächliche revolutionäre Umgestaltung einer von Diktatur und sozialer Ungerechtigkeit geprägten Gesellschaft ein weitaus schwierigeres Unterfangen ist. Und dass man dabei nicht unbedingt auf alle jene "Freunde" zählen kann, die aus welchen Gründen auch immer die Revolution begrüßt haben.
Ich möchte mich in diesem Kommentar mit der Rolle Europas befassen. Diese ist bei weitem nicht so positiv, wie man uns dies weismachen will. Dass Europa die gestürzten Diktatoren bis zuletzt unterstützt hat, soll in der Euphorie der Stunde auf keinen Fall unter den Tisch fallen. Das Angebot Frankreichs, militärische Unterstützung zur Verteidigung der Herrschaft von Zine el Abidine Ben Ali nach Tunis zu schicken, aber auch das tagelange Lavieren der europäischen Großmächte, sich klar auf die Seite der ägyptischen Revolution gegen das Regime Hosni Mubaraks zu stellen, ist noch nicht vergessen.
Diese peinlichen Episoden waren letztlich nur eine logische Fortsetzung der engen politischen, wirtschaftlichen und auch militärischen Zusammenarbeit mit den nahöstlichen Diktaturen. (Libyen wäre hier eine eigene Betrachtung wert, denn das europäisch-libysche Verhältnis übertrifft jenes mit anderen Staaten puncto Scheinheiligkeit und Doppelmoral noch um Längen.)
Europa und seine Großmächte (die sich ganz offensichtlich noch immer wehmütig an ihre großen Kolonialzeiten erinnern) haben eben Interessen, bei denen Demokratie und Menschenrechte de facto nur eine untergeordnete Rolle spielen. In diesem Zusammenhang muss den Eurokraten und den europäischen "Staatsmännern und -frauen" auch das eklatante Scheitern eines ihrer "friedenschaffenden" und "völkerverbindenden" Instrumente, der Mittelmeerpolitik, vor Augen geführt werden. Diese hat de facto kaum etwas gebracht und wurde zudem durch die eigenmächtige Gründung einer eigenen Mittelmeerunion durch Frankreich vor drei Jahren konkurrenziert.
Von zahllosen diplomatischen Begegnungen und in aller Stille massiv durchgeführten Grenzeinsätzen zur Abwehr von schwarzafrikanischen Migranten abgesehen, ist hier kaum Nennenswertes geschehen. In diesem Sinne ist zu hoffen, dass auch Europa seine Lehren aus den Revolutionen der ägyptischen und der tunesischen Jugend zieht und endlich konkrete Aktionen zur Unterstützung von Demokratie, Menschenrechten und sozio-ökonomischer Entwicklung an seiner Südgrenze setzt.
Fritz Edlinger ist Generalsekretär der "Gesellschaft für Österreichisch-Arabische Beziehungen" und Herausgeber der Zeitschrift "International".