Die Bedeutung der Digitalisierung für die Bildung.
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Die Digitalisierung hatte bereits vor Corona eine sehr rasante Entwicklung hinter sich. Während es zu Beginn oft darum ging, analoge Werte auf digitale Datenträger zu überspielen (zum Beispiel Schallplatten auf CDs), macht sich die Diskussion um den digitalen Wandel heute an Begriffen wie künstliche Intelligenz, Kryptowährungen, Big Data oder Cloudlösungen fest. Fakt ist, dass durch die neuen Möglichkeiten zum einen die Quantität der Daten steigt und zum anderen die Geschwindigkeit der Verarbeitung und Verbreitung von datenbasierten Erkenntnissen.
Während der Corona-Zeit haben viele Organisationen verstärkt auf digitale Maßnahmen setzen müssen. Universitäten stellten innerhalb kürzester Zeit auf Distanzlehre um. Da die digitale Vermittlung von Inhalten zumeist andere Konzepte benötigt, mussten die meisten Lehrveranstaltungen auch didaktisch rasch neu aufgesetzt werden. Doch während digitale Lehre innovative Formen des Lernens, Lehrens und Erfahrens ermöglicht, verlangt sie gleichzeitig auch geeignete Instrumente, die verschiedene Richtlinien erfüllen müssen, sowie die notwendige Ausstattung mit Geräten, Kompetenzen und technisches Know-how auf Seiten von Schülerinnen, Schülern, Studierenden und Lehrenden.
Der Unterricht im Corona-Lockdown hat jedenfalls aufgezeigt, dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass überall entsprechende Geräte vorhanden sind. Die Zeit der raschen Umstellung war daher eine große Herausforderung, birgt aber - immer vorausgesetzt die nötigen Infrastrukturen sind vorhanden - auch immenses Potenzial. Gerade für Bildungseinrichtungen eröffnet sich die Möglichkeit, weg vom Lehren im Sinne von Belehren zu gehen und mittels digital unterstützter Lernsituationen neue Wege der Anleitung und Begleitung des Lernprozesses zu beschreiten. Lehrende an Universitäten sind beispielsweise nicht nur wichtige Role Models, sondern auch Mentorinnen und Mentoren, denen neben dem Vermitteln von Fachwissen auch die Persönlichkeitsentwicklung am Herzen liegen muss, denn ein Studium ist doch eine wichtige Lebensphase für junge Menschen.
Verbesserung der Feedback-Kultur
Das Feedback in vielen Bildungseinrichtungen erfolgt sehr oft in eine Richtung: Lernerfolge werden über Notengebung beurteilt, Lernende erhalten so ihr Feedback. An Universitäten wie auch an der Wirtschaftsuniversität Wien werden aber zum Beispiel nach abgeschlossenen Lehrveranstaltungen auch die Vortragenden von den Studierenden evaluiert und erhalten so ein umfassendes Feedback über ihre Lehrleistung.
Die Digitalisierung würde es natürlich auch zulassen, derartige Feedback-Mechanismen noch zu verfeinern, etwa in Form konkreter Rückmeldungen zu Lehrbüchern. Bei Verwendung von E-Books im Unterricht könnten Lehrende und Verlage automatisch Feedback darüber erhalten, an welchen Stellen es Verständnisschwierigkeiten gibt. Denn halten sich Lernende bei bestimmten Passagen länger auf, ist dies meist ein Indiz dafür, dass sie Texte mehrmals lesen müssen, um sie zu verstehen. Lehrende könnten solchen Stoff im Unterricht verstärkt thematisieren, und Verlage wüssten, wo eine Überarbeitung des Buches wünschenswert wäre.
Ermöglichung von Individualisierung
Auch individualisierter Unterricht wäre dank Digitalisierung umsetzbar. Während österreichische Schülerinnen und Schüler nach Alter in Klassenverbände zusammengefasst werden und etwa in Mathematik meist unabhängig von ihrem Wissensstand dasselbe Unterrichtsmaterial und dieselben Aufgaben erhalten, sind aus den USA Beispiele bekannt, die zeigen, wie individueller Mathematikunterricht mithilfe der Digitalisierung umgesetzt werden kann. Carnegie Learning beispielsweise hat das adaptive Mathematik-Lernsystem "MATHia" entwickelt, das erst im Frühjahr 2020 den Award als "Best Artificial Intelligence Solution" erhielt. Anders als im Regelunterricht, wo der gesamte Stoff ohne auf Wissenslücken Rücksicht zu nehmen innerhalb eines Schuljahres durchgearbeitet wird, wählt diese Lernsoftware für Mathematik die jeweiligen Inhalte anhand der Antworten auf die vorangegangenen Übungen aus. Auf diese Weise werden Problemfelder identifiziert und Schülerinnen und Schüler können Beispiele so lange üben, bis der Stoff verstanden wird. Studien zeigen, dass die Lernenden die angestrebten Mathematikkenntnisse auf diese Weise um 12 Prozent schneller erreichen als jene, die auf herkömmliche Weise lernen.
Ein weiteres Beispiel ist "Teach to One", ein Mathematikprogramm, das sich an den individuellen Bedürfnissen jeder Schülerin und jedes Schülers ausrichtet und erstmals 2009 unter dem Namen "School of One" in Schulen in New York City zum Einsatz kam. Wie "Teach to One" konkret funktioniert? Der Mathematikstoff kann in acht verschiedenen Methoden - unter anderem klassischer Unterricht mit Lehrperson, Arbeit in Kleingruppen oder Online-Tutorial - erlernt werden. Am Ende jeder Unterrichtseinheit führen Schülerinnen und Schüler eine kurze Online-Überprüfung durch. Ein System kontrolliert, wer noch üben muss, wer den Stoff verstanden hat und wer bereit ist für den nächsten Stoff. Algorithmen errechnen für jede Person die ideale Lernmethode, damit der Stoff verstanden wird und sitzt. Der Computer gibt die passende Unterrichtsmethode für den nächsten Tag vor.
Es gibt noch wenige Studien, die sich ausschließlich mit den Effekten dieser Methode beschäftigen. Neuere Evaluierungen, die auf learning growth fokussieren, zeigen, dass die "Teach to One"-Schülerinnen und -Schüler ihre Mathematikkompetenzen um rund 23 Prozent schneller erwerben als Schülerinnen und Schüler, die mit herkömmlichen Methoden Mathematik lernen. Während viele Schulen außerdem während der Corona-bedingten Schulschließungen weltweit Probleme damit hatten, Leistungsniveaus zu halten, konnten jene Schulen, die "Teach to One" verwenden, ohne Leistungsverluste problemlos weiterarbeiten. Natürlich auch deshalb, weil der Digitalisierungsstand dieser Schulen sehr hoch ist.
Digital Age an Österreichs Universitäten?
Es wird schnell klar, dass die Digitalisierung für Bildungseinrichtungen großes Potenzial mit sich bringt, wenn sie nicht ad hoc passieren muss. Nicht nur die Schließungen der Bildungseinrichtungen während der Pandemie haben gezeigt, dass es neue Lernformen braucht, auch Lernprozesse haben sich verändert. Doch die digitale Umstellung des Lernens und Lehrens hat auch Grenzen, weil der direkte soziale Austausch fehlt. Zentral dabei ist daher die Frage, welches Wissen online vermittelt werden kann, welche Inhalte gemeinsam vor Ort erarbeitet werden sollen und welche Interaktion sie benötigen. Gerade an Universitäten sind das miteinander Diskutieren und Debattieren wichtig. Online Angebote können daher höchstens Ergänzungen sein. Das setzt natürlich voraus, dass eine Rückkehr zum Betrieb vor Ort im kommenden Wintersemester wieder möglich ist.
Gesellschaft und Arbeitswelt verändern sich durch den technologischen Wandel jedenfalls sehr schnell. Die Probleme und Herausforderungen werden immer komplexer. Um Themen wie Data Science, Artifical Intelligence oder Kryptoökonomie in Forschung und Lehre zu bearbeiten, braucht es multidisziplinäre Ansätze. An der Wirtschaftsuniversität Wien stehen die kommenden Jahre sowohl in der Lehre als auch in der Forschung jedenfalls im Zeichen von Digital Economy.