"Es ist ein Ringen um eine neue, zeitgerechtere Rolle des Lehrers und um ein zeitgemäßes Schulbild im Gange", analysierte Michael Wimmer, Geschäftsführer des Österreichischen Kultur-Service (ÖKS) im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" über streikende Lehrer, fade Schulen, Kultur im Unterricht und die Rolle des ÖKS. Selbst früher unterrichtend tätig, beklagt er den mangelnden Willen mancher Lehrer etwas zu ändern. Man dürfe allerdings nicht alle über einen Kamm scheren. Engagierte Lehrer würden derzeit überfahren.
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"Die neue Rolle des Lehrers sollte die eines Moderators sein", ist Michael Wimmer überzeugt. Viele Lehrer sehen nicht, dass sich das Umfeld und die Anforderungen geändert haben. Das sehe man auch daran, dass die "besser pädagogisch ausgebildeten Pflichtschullehrer sich nicht an den Streikmaßnahmen beteiligt haben". Diese würden es als eine Einschränkung ihres Arbeitsfeldes sehen, wenn sie so arbeitsteilig unterrichten müssten wie an den AHS.
"Man darf aber nicht alle in dieser Berufsgruppe über einen Kamm scheren", warnt Wimmer. Die engagierten Lehrer, die derzeit gerne mehr projektbezogenen Unterricht und kreative Unterrichtsmethoden einführen wollen, würden derzeit überfahren. Das ÖKS bekomme Rückmeldungen von Lehrern, die nichts machen können, weil sie sich solidarisch zeigen wollen oder sogar als Streikbrecher bezeichnet werden.
Eine Frage des Geldes?
"Dieses Katastrophenszenario ist für mich nicht nachvollziehbar", so Wimmer deutlich. Gerade in Wien seien in den letzten Jahren einige Schulaufbauten mit "toller Ausrüstung" erfolgt, aber viele Dinge würden einfach nicht benützt. "An einigen Schulen stehen Geräte noch originalverpackt herum".
"Das ÖKS, als außenstehende Serviceeinrichtung muss den neuen Unterricht für Schüler verteidigen". Es finde derzeit keine inhaltliche Diskussion statt sondern nur über das Gehalt, aber zuerst muss das System funktionieren.
Die Streikdrohungen stellen seiner Meinung nach einen Versuch dar, alte Schulverhältnisse wieder herzustellen, "wo der Lehrer vorne gestanden ist, seinen Stoff heruntergebetet hat und ihn dann geprüft hat." Das ist das Ende der zeitgemäßen Unterrichtsformen und "dann wären auch die Möglichkeiten des ÖKS gefährdet", denn die Projekte können nur im normalen Unterricht schlecht umgesetzt werden.
Als positives Beispiel nannte Wimmer eine Schule in Lienz, wo der Lehrer für Bildnerische Erziehung in der Schule eine Gallerie eröffnet hat und auch Künstler einlädt.
"Man kann das machen, aber es setzt ein bestimmtes Lehrerbild voraus", so der ÖKS- Geschäftsführer weiter. "Weg mit der Fantasie von einem Lehrer der 20 bis 21 Stunden in der Woche arbeitet. Lehrer sind höchstqualifizierte Ganztagsbeschäftigte." An solchen Änderungen seien allerdings schon viele gescheitert. Wichtig wäre eine Imagekampagne für engagierte Lehrer. "Die Öffentlichkeit weiß überhaupt nicht wie viel und was getan wird."
Ende der Pragmatisierung
Allgemeinbildende Höhere Schulen (AHS) und Universitäten leiden unter einem immer schlechter werdenden Image. Die Schüler wandern reihenweise in Berufsbildende Höhere oder Mittlere Schulen (BHS und BMS) und an die Fachhochschulen (FH) ab.
Das sei aber der falsche Weg, so Wimmer. Die Allgemeinbildung sei auf dem Rückzug vor der Spezialisierung und das könne nicht gut sein. "Kinder sollten sich nicht schon mit 16 entscheiden müssen ob sie anorganische oder organische Chemie belegen wollen."
Die Abwanderung geschehe aber auch wegen des besseren Lehrerbildes: "Dort spielt Pragmatisierung kaum eine Rolle", erklärt Wimmer. Die Unterrichtenden haben meist Berufserfahrung, was dem zeitgemäßen Berufsbild entspreche. "Eindeutige Karrieren werden an ihr Ende kommen. Die Menschen werden drei bis vier Neustarts in ihrem Leben haben und Lehrer sind hier das ärgste Vorbild - wie sollen sie die Kinder vorbereiten." Es sei daher wichtig, dass diese Berufsgruppe auch außerschulische Erfahrungen sammle, vielleicht schon als Junglehrer in Warteposition.
Wimmer selbst hat nach Abschluss der HBLVA Rosensteingasse an dieser eine Höhere Schule für Chemie als Assistent gearbeitet und nebenbei Musik studiert. Dann war er in Wiener Neustadt Lehrer für Mathematik, Physik und Chemie. Nach ein paar Monaten außerschulischer Jugendarbeit und einem zweiten Magister in Politikwissenschaft, wurde ihm die Leitung des Österreichischen Kulturservice (ÖKS) angetragen.
"Lehrer sollten nach verschiedenen Richtungen hin gesprächsfähig sein, denn ein Lehrer ist nichts anderes als ein Vermittler", erläutert Wimmer. Er betonte, dass dies kein fundamentaler Angriff sei, sondern der Anstoß für eine Diskussion um ein neues erfolgreiches Berufsbild. Das Lehrerbild könnte stärker mit dem Künstlerbild einhergehen - der persönliche Ausdruck oder die Begeisterungsfähigkeit.
Allerdings müssten auch die Eltern von der Sinnhaftigkeit, etwa des projektbezogenen Unterrichts überzeugt werden. "Wenn die Kinder nach Hause kommen fragen viele Eltern: 'Na, was hast du heute in der Schule gelernt. Nicht schon wieder ein Projekt.'", betont Wimmer.
Die Rolle des ÖKS
"Menschen sind wesentlich besser ausgestattet als nur mit reproduktiver Wortmächtigkeit", formuliert der ÖKS-Geschäftsführer. Sie können mehr als Lernen und wiedergeben. "Ich habe noch nie einen Chef getroffen, der gesagt hat: 'Schauen Sie sich das bis morgen an, ich prüfe Sie es dann.'"
Die Kultur könne hier einen Auslöser bieten. Sie bringe Fähigkeiten zum Vorschein. "Kultur weckt Neugierde." Kreative Unterrichtskonzepte seien gefragt. Auch etwa in der Mathematik und der Physik.
Weiters müssten Lehrer zugeben, dass sie selbst Weiterbildung brauchen und dass sie von Schülern lernen können "Gemeinsame Lernprozesse zu finden ist eine große Herausforderung. Wir müssen die Diskussion eröffnen und Ziele skizzieren."
"Das ÖKS bietet Beratung, in erster Linie kunstspezifisch." Ein Lehrer, der ein Projekt starten will, kann sich an das ÖKS wenden, dort erhält er Adressen von Künstlern, aber auch Erfahrungsaustausch und vor allem Beratung in der Planung des Projektes. Wenn die Schule nicht über genügend Mittel verfügt, erhält man über das ÖKS auch finanzielle Unterstützung. Das Kulturservice stellen aber auch mit Partnerorganisationen selbst Projekte auf die Beine und lade dann Schulen ein, mitzumachen. "In Zeiten wie diesen ist das natürlich schwieriger", so Wimmer.
Einige Projekte umfassen "World Press Foto", wo Schüler und Fotografen zusammen arbeiten und danach eine Ausstellung im Palais Palfy organisieren. "Europe X-large" schafft Schulpartnerschaften.
"Vor ein paar Jahren hat das ÖKS dem Ministerium 10 Mill. Schilling entringen können. Davon werden Schulen eingeladen in einer Ganzjahresplanung ein Schulkulturprofil zu erstellen und erhalten 40000 ATS dafür. Dann können sie das interdisziplinär umsetzen", erläutert Wimmer.
Das ÖKS bietet auch Lehrerfortbildung an. In Rahmen des Projektes "Museum online" werden Lehrer unter anderem trainiert welche Homepages es zu dem Themenbereich gibt und wie man diese im Unterricht anwenden kann. Im Projekt "Spurensuche" können Lehrer eine zeitgemäße Auseinandersetzung mit dem kulturellen Erbe erfahren.
"Lehrerfortbildung ist eine ganz wichtige Geschichte. So wie im Moment Lehrerfortbildung organisiert ist, ist das eine Garantie, dass kaum etwas weiter geht", so Wimmer. Kulturell gebe es praktisch keine Angebote "außer Jazzgymnastik", außerdem seien Lehrer nicht verpflichtet sich weiterzubilden.
Das österreichische System möchte Wimmer nicht ändern. Es gebe genug Freiheiten für Lehrer, diese müssten sie nur ausnützen.
Mehr über das ÖKS erfahren Sie unter http://www.oks.at oder unter 01/523 57 81-0.