Zum Hauptinhalt springen

Leibrentensteuer als neue Vermögensteuer?

Von Alfred Abel

Wirtschaft

Die Freude an der Leibrente dauerte nur kurz. Das Kapital war noch nicht einmal zur Hälfte verbraucht, als das Finanz-amt schon mit dem Einkommensteuerbescheid daherkam. Die Dame hatte bei verschiedenen Versicherungsgesellschaften Einmalzahlungen hinterlegt und dafür als Gegenleistungen Leibrentenzahlungen vereinbart. Dass es rechtens ist, dass diese Renten so schnell besteuert würden, hat sie nicht geglaubt. Der Verfassungsgerichtshof glaubt es jetzt auch nicht.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 22 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Die Besteuerung von Renten ist ein Kapitel, das - nicht zuletzt zufolge der Judikatur der Höchstgerichte - zum ständigen Experimentierfeld der Steuerreformer gehört. Die jüngsten Änderungen erfolgten durch das Steuerreformgesetz 2000, und einer der Reformschläge traf auch den § 29 des Einkommensteuergesetzes - just jenen, für den das Verfassungsgericht soeben ein Gesetzesprüfungsverfahren eingeleitet hat. *)

Leibrente aus Einmalprämie

Der Fall: Ein Dutzendfall, wie er bei Menschen, die etwas Geld zusammengekratzt haben, häufig vorkommt. Man hinterlegt bei einer Versicherungsgesellschaft eine Einmalprämie und vereinbart dafür (ab sofort oder ab einem bestimmten späteren Zeitpunkt) eine lebenslange Rente, eine Leibrente. Auf die bange Frage, ob diese Rente steuerpflichtig sei, antworten die Experten meistens beruhigend, dass dies erst der Fall sei, wenn der hingegebene Vermögenswert überschritten würde. Was in dieser vereinfachten Form freilich falsch ist.

Problem: Rentenbarwert

Denn die Steuerpflicht einer privaten "Kaufpreisrente" (und für die Fachleute ist auch der Tausch Einmalprämie gegen Leibrente ein Kaufgeschäft) hängt nicht von der Höhe der bezahlten Prämie ab, sondern vom Barwert der Rente. Wobei dieser Barwert neuerdings aber nicht auf den Zeitpunkt der Einmalzahlung abgestellt wird, sondern auf den Zeitpunkt des Rentenbeginns. Diese "Zeitpunktverlegung" verdanken wir übrigens auch dem Steuerreformgesetz 2000, das diese Änderung einer jahrzehntelangen Usance plötzlich (auch aus budgetären Gründen) als "sachgerecht" befunden und gleich bis zum Jahre 1989 rückprojiziert hat. Dass es dadurch zu einer nicht sachgerechten Vermögensbesteuerung kommen kann, zeigt der Fall einer oberösterreichischen Rentensparerin recht deutlich.

Antiquierte Vervielfacher

Der Barwert einer privaten Leibrente, ab dessen Über-schreiten die Rente einkommensteuerpflichtig wird, wird nämlich - so will es das Gesetz - nicht nach versicherungsmathematischen Grundsätzen ermittelt, sondern nach den starren Vervielfachern des Bewertungsgesetzes. Diese seit Ewigkeiten unverändert geltenden Faktoren berücksichtigen natürlich nicht die inzwischen eingetretenen demographischen Änderungen in der Altersstruktur; sie lassen jene Kapitalisierungsfaktoren außer Betracht, die sich aus den aktuellen Sterbetafeln ableiten.

"Vermögensbesteuerung"

Das Verfassungsgericht liefert dazu selbst ein paar Hinweise, wie sehr die unguten Wirkungen der bewertungsgesetzlichen Vervielfacher zu einer echten Vermögensbesteuerung führen. Wird etwa im Alter von 75 Jahren eine Einmalprämie in bestimmter Höhe geleistet, um eine Leibrente von 10.000 Euro zu erlangen, so wäre der versicherungs-mathematische Barwert dieser Rente etwa 80.428 Euro. Die Rentenbesteuerung würde demnach erst nach 8 Jahren einsetzen. Bei Anwendung der Vervielfacher des Bewertungsgesetzes würde die Steuerpflicht aber schon im 4. Jahr beginnen müssen.

Man muss freilich nicht erst die hohen Altersstufen be-trachten. Schon ab dem 50. Lebensjahr beginnen Bewertungsgesetz und Versicherungsmathematik um mehr als 10% auseinanderzuklaffen und die Schere weitet sich danach immer mehr aus.

Im Ergebnis werden auf diese Weise in erheblichem Umfang Beträge besteuert, die lediglich eine Vermögensumschichtung darstellen, heißt es in dem Prüfungsbeschluss des Höchstgerichtes.

Exzessive Rentenbesteuerung

Und weiter: Da die Versicherungsunternehmen bei der Kalkulation von Leibrenten die aktuelle Lebenserwartung zu-grundelegen und dementsprechend den Barwert ableiten, dürfte es beim Abschluss von Leibrentenverträgen (vor allem im höheren Lebensalter) unter Anwendung der antiquierten starren steuerlichen Vervielfacher zu einer - wie es das Gericht formuliert - "nicht mehr zu vernachlässigenden Besteuerung einer bloßen Vermögensumschichtung kommen", somit zu einer verfassungswidrigen Ausweitung der Rentenbesteuerung. Im juristischen Sinn: zu einer Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Unverletzlichkeit des Eigentums.

Die jetzt geäußerten Bedenken der Verfassungsrichter gegen die richtige Ermittlung jenes Barwertes, ab dessen Übersteigen die Leibrenten steuerpflichtig werden, betreffen freilich nicht nur Renten nach Einmal-Versicherungsprämien, sondern haben Bedeutung für alle Arten von privaten Geschäften, bei denen Güter gegen Vereinbarung einer Leibrente übergeben werden.

Rasche VfGH-Entscheidung?

Experten gehen inzwischen davon aus, dass diese Bedenken sehr zu recht bestehen und dass mit einer Aufhebung der steuerlichen Barwertberechnung nach dem Bewertungsgesetz zu rechnen ist. Pessimistisch sind sie hingegen hinsichtlich des Zeitplanes. Wenn es dem Gericht gelingen sollte, tatsächlich noch in diesem Jahr einen Aufhebungsbeschluss zu fällen, wird es - wie neuerdings üblich - dem Gesetzgeber wohl eine "Reparaturzeit" von einem Jahr einräumen. Was bedeutet, dass mit einer Novellierung der vermögensverzehrenden Rentenbesteuerung voraus-sichtlich nicht vor 2004 zu rechnen ist.

*)GZ B 1200/01 vom 7. März 2002, im Internet unter http://www.vfgh.gv.at abrufbar.