Das mit Spannung erwartete TV-Duell zwischen Al Gore und George W. Bush endete weder mit einem K. o. eines der Kontrahenten, noch mit einem deutlichen Punktesieg: Die beiden Kandidaten konnten einen eigenen Standpunkt kaum glaubhaft machen. Nach einer Umfrage des CNN hatte Gore die Nase vorn.
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Am Tag danach hat sich für die beiden Spitzenkandidaten im amerikanischen Wahlkampf so gut wie nichts verändert. Das Kopf-an-Kopf Rennen geht weiter. Die erste Fernsehkonfrontation zwischen Gore und Bush ist unentschieden ausgegangen, so urteilen die meisten unabhängigen Beobachter. Das einzig bemerkenswerte nach dem Schlagabtausch: George W. Bush hielt sich unerwartet gut, nachdem sein Gegner als der eigentlich bessere Debattierer gehandelt worden war.
Enttäuschend für viele Zuschauer war, dass das vermeindliche Duell streckenweise eher einem Duett glich. Nicht nur äußerlich-beide Kandidaten trugen dunkelblaue Anzüge mit rostroter Krawatte-auch in ihren Formulierungen waren Gore und Bush oft ident. Die Abgrenzung der beiden voneinander funktionierte vor allem in den Bereichen Bildungs- und Energiepolitik nicht. Im Verlauf der Diskussion forderte Gore die Wähler auf, sich die Frage zu stellen, ob es ihnen heute besser gehe als vor acht Jahren, bevor Bill Clinton die Regierung übernommen hatte. Bush wiederum quittierte die politischen Vorhaben des Demokraten öfters mit der hintergründigen Frage, warum Gore diese Initiativen nicht schon in den vergangenen acht Jahren als Vizepräsident angepackt hätte.
In außenpolitischen Fragen gelang es Gore, sich als der kenntnisreichere darzustellen. Bush konterte, und machte sich darüber lustig, dass sich Gore vor Monaten mit seinen Leistungen beim Ausbau des weltweiten Datennetzes gebrüstet hatte: "Ich fange an zu glauben, dass er nicht nur das Internet, sondern auch den Taschenrechner erfunden hat." Bush musste sich auch als der offensivere, agressivere präsentieren: In den USA herrscht allgemeiner Wohlstand, die blendenden Wirtschaftsdaten sprechen für sich. Der Republikaner sieht sich mit der Bringschuld konfrontiert, die Amerikaner zu einem Wechsel motivieren zu müssen.
Das ist ihm nach der jüngsten Fernsehdebatte nicht gelungen. "Wahrscheinlich sind die meisten unentschlossenen Wähler, die sich die Debatte anstelle eines Baseballspiels anschauten, auch heute noch unentschlossen", urteilt die "Detroit Free Press". Bei einer Blitzumfrage des CNN fanden achtundvierzig Prozent der Befragten, dass sich Gore besser geschlagen habe, einundvierzig Prozent sahen Bush als Sieger.
Vom Wahlausgang am siebenten November hängt auch die künftige Zusammensetzung des Obersten Gerichts und damit eine Fülle wichtiger politischer und sozialer Entscheidungen ab. So könnte bei einem Sieg George W. Bushs das Abtreibungsrecht auf dem Spiel stehen, befürchten liberale Kreise.