Im März stieg die Zahl an freien Stellen deutlich an, die meisten Flüchtlinge müssen für den Arbeitsmarkt aber erst fit gemacht werden.
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Wien. Und jetzt? Das dürfte eine der wichtigen Fragen für Flüchtlinge sein, wenn sie einen positiven Asylbescheid erhalten. Erst die Flucht, häufig gefährlich und jedenfalls teuer, dann das Asylverfahren samt Arbeitsverbot und anderen Restriktionen sowie auch fast keinen Zugang zu Deutschkursen. Erst nach durchschnittlich sieben Monaten folgt, im positiven Fall, die Gewissheit, bleiben zu können. Der Bescheid bedeutet Sicherheit, Zugang zum Arbeitsmarkt und die Wahl des Wohnortes. Also was jetzt?
Koalitionärer Streitüber Residenzpflicht
Über die Wahl des Wohnortes herrscht in der Koalition Uneinigkeit. Die SPÖ will eine Residenzpflicht einführen, um Wien zu entlasten, die ÖVP ist dagegen. Es ist eine Frage, die auch Arbeitsmarktexperten nicht eindeutig beantworten. Klar ist: Wenn es, wie jetzt, jeden zweiten Asylberechtigten nach Wien zieht, wirkt sich das negativ auf die Beschäftigungsquote von Flüchtlingen aus. Es ist jedoch nicht sicher, ob eine Residenzpflicht ein sinnvolles Gegenmittel ist. Bei der Frage "Und jetzt?" geht es für Flüchtlinge auch um Wohnraum. Es ist sogar ein drängenderes Problem als Arbeit, denn diese kann durch die Mindestsicherung gewissermaßen substituiert werden. Eine Residenzpflicht könnte das Wohnungsproblem noch verschärfen.
In der aktuellen Arbeitslosenstatistik für März sind Flüchtlinge hauptverantwortlich dafür, dass es einen Anstieg um 2,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat gab. Von den mehr als 10.000 zusätzlichen Menschen ohne Arbeit waren 7580 Personen als anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte beim Arbeitsmarktservice (AMS) registriert. Eine positive Nachricht gab es dennoch: Die Zahl der offenen Stellen schnellte um 40 Prozent auf 36.764 nach oben.
In ihrer jüngsten Prognose gehen die Forschungsinstitute Wifo und IHS von einem leichten Anstieg der Arbeitslosenquote für dieses und das kommende Jahr aus, wobei 2017 beide Institute mit einer Quote von 9,8 Prozent rechnen. Im März lag sie bei 9,4 Prozent (es gilt dabei, saisonale Schwankungen zu beachten).
Die Prognose beruht auf Annahmen, die gerade hinsichtlich der Integration der Flüchtlinge mit vielen Fragezeichen versehen sind. Wie viele kommen noch? Welche Qualifikation haben sie? Wie werden Integrationsmaßnahmen greifen? Das IHS rechnet mit Verfahrensdauern von einem Jahr, was angesichts der hohen Belastung der Behörden auch nicht unrealistisch ist.
Der Großteil der 90.000 Schutzsuchenden, die 2015 in Österreich Asyl beantragten, kam in der zweiten Jahreshälfte. Es ist daher davon auszugehen, dass die wenigsten von ihnen in der aktuellen AMS-Statistik aufscheinen. Allerdings dürften die Daten vom März einen Hinweis darauf geben, wie sich die kommenden Monate entwickeln könnten.
Drei von vier Syrernwaren 2015 arbeitlos
In seiner Prognose hat das IHS angenommen, dass im ersten Jahr der Asylberechtigung nur zehn Prozent der Flüchtlinge eine Beschäftigung finden. Im zweiten Jahr rechnet das Institut für Höhere Studien mit 40 Prozent in Beschäftigung. Das scheint recht optimistisch.
Blickt man in die Tiefenauswertung des AMS nach Nationalitäten, so zeigt sich, dass die Arbeitslosenquote bei Syrern und Afghanen, den Top-Asylnationalitäten, innerhalb eines Jahres sehr deutlich angestiegen ist. 2014 waren rund 40 Prozent der Afghanen arbeitslos, im Jahr darauf schon mehr als 46 Prozent. Bei Syrern stieg die Quote gar von 55 auf 75 Prozent.
GeringqualifizierterSektor unter Druck
Das ist allerdings nur als Momentaufnahme zu verstehen. Da Asylwerber bisher kaum Zugang zu Deutschkursen haben, sind Flüchtlinge nach Erteilung einer Arbeitserlaubnis kaum vermittelbar. Sie müssen sich zuerst zumindest rudimentäre Deutschkenntnisse aneignen. Das passiert in AMS-Schulungen, weshalb die Syrer mit ihrer kürzeren Migrationsgeschichte nach Österreich im Vergleich zu Afghanen höhere Arbeitslosenquoten im Jahr 2015 aufwiesen. Langfristig rechnet das AMS aber damit, dass syrische Flüchtlinge aufgrund besserer Qualifikationen gegenüber Afghanen höhere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben werden.
Wie viele tatsächlich binnen zwei Jahren eine Stelle finden, ist schwer zu prognostizieren. Generell ist der Druck gerade bei geringqualifizierten Jobs hoch und Arbeitskräfte aus angrenzenden Ländern sind gegenüber Flüchtlingen im Vorteil. Der EU-Zuzug ist auch ein Grund, weshalb im Osten, vor allem in Wien, die Arbeitslosigkeit steigt, während sie im Westen sinkt. Aber werden die Flüchtlinge selbst nach Tirol ziehen? Oder braucht es dafür eine Residenzpflicht? In dem Fall würde der Staat eine Antwort auf die "Und jetzt?"-Frage selbst geben.