"Auch Spitzengewerkschafter sollen im Parlament sitzen." | Ruf nach Wertschöpfungsabgabe. | Skepsis gegenüber "Rot-Weiß-Rot-Card". | "Wiener Zeitung": Anfang Juli wird der ÖGB-Bundeskongress Sie offiziell zum neuen ÖGB-Präsidenten wählen. Ex-SPÖ-Chef und Bundeskanzler Gusenbauer hat hohen ÖGB-Funktionären den Einzug in den Nationalrat verwehrt. Tut es Ihnen leid, dass Sie als ÖGB-Chef nicht im Nationalrat sind und somit weniger politischen Einfluss haben?
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Erich Foglar: Nein. Rudolf Hundstorfer hat 2006 freiwillig entschieden, als ÖGB-Präsident nicht im Parlament zu sein. Das ist in Ordnung, weil der ÖGB eine überparteiliche Organisation ist. Ich habe ihn schon damals in dieser Meinung bestärkt. Das heißt aber nicht, dass nicht andere Spitzenfunktionäre im Hohen Haus vertreten sein sollen - was auch der Fall ist.
Wird der geringere politische Machteinfluss im Parlament durch den vermehrten Rückgriff der Regierung auf die Sozialpartner ausgeglichen?
Macht ist nicht der passende Ausdruck. Es ist gut und positiv, wenn die Regierung auf die Erfahrung der Sozialpartner zurückgreift. In 40 Punkten des Regierungsprogramms werden die Sozialpartner eingeladen, Vorschläge zu machen. Dort werden wir uns auch einbringen, aber der ÖGB ist nicht die Regierung. Regieren muss die Regierung schon selbst.
Hat die Selbstverwaltung der Krankenkassen heute noch Berechtigung oder sollte das Gesundheitssystem auf Steuerfinanzierung - Stichwort: Finanzierung aus einer Hand - umgestellt werden?
Nein. Für uns ist die Selbstverwaltung ein Grundprinzip, mit dem wir in Österreich bisher sehr gut gefahren sind. Die Selbstverwaltung ist effizient und kostengünstig und sie bietet den Versicherten die Möglichkeit, mitzubestimmen. Und Mitbestimmung ist ein Grundpfeiler gewerkschaftlichen Handelns.
Angeblich soll vor dem ÖGB-Kongress ein Personalpaket geschnürt werden, das auch Änderungen in den Sozialversicherungen vorsieht. Können Sie das konkretisieren, und wird es in der ÖGB-Zentrale selbst zu Personalkürzungen kommen?
Das kann ich noch nicht konkretisieren. Es stehen einige Personalentscheidungen neben dem Präsidenten an.
Als ÖGB-Vizepräsidentin wird Ex-Ministerin Heidrun Silhavy gehandelt, als FSG-Chef GPA-Vorsitzender Wolfgang Katzian.
Es gibt viele Namen, warten wir auf den Wahlvorschlag.
Die ÖGB-Zentrale soll 14 bis 15 Millionen Euro unter dem vereinbarten Budgetpfad liegen. Die Teilgewerkschaften werfen der Zentrale vor, beim Personal und den regionalen Niederlassungen säumig zu sein, und verlangen Reformen, ehe sie zusätzliche Mittel in die Zentrale pumpen.
Da muss man differenzieren. Der ÖGB ist ein Verein und quer über den Organisationsbereich sehr gut aufgestellt. Wir haben 2007 und 2008 positiv bilanziert, wobei gerade in der Zentrale sehr viel eingespart wurde. Derzeit wird ausgelotet, was die Zentrale künftig machen soll. Außerdem gibt es eine Diskussion über die Zusammenlegung der Gewerkschaftsmedien. Da ist aber noch lange nicht das letzte Wort gesprochen. Auch bei der Bildung wird man nicht sparen können. Beim Personal - der ÖGB hat derzeit 1770 Mitarbeiter - sind wir jetzt schon knapp. Beratung und Schulung von Betriebsräten ist unser Kerngeschäft. Da kann man nicht sparen.
Wo kann gespart werden?
Sparen werden wir auch mit dem Umzug in das neue ÖGB-Haus Ende diesen Jahres oder Anfang 2010. Dann wird aus sechs Standorten einer. Außerdem haben wir das Haus gekauft zu einem Preis von 15 Jahresmieten. Eine einfache kaufmännische Rechnung, dass wir damit ebenfalls sparen.
Hat sich der ÖGB vom Skandal 2006 finanziell und strukturell - bei den Mitgliederzahlen - schon erholt?
Wir haben das Problem gut bewältigt. Das heißt aber nicht, dass wir am Ende der Bemühungen sind. Es ist ein ständiger Prozess, den ÖGB den Interessen der Mitglieder und den geänderten Rahmenbedingungen anzupassen. Der Mitgliederabwärtstrend wurde gestoppt und hat sich Ende 2007 bei 1,247 Millionen eingependelt. Die Zahlen 2008 liegen noch nicht vor.
Ist nicht gerade eine Wirtschaftskrise auch eine Chance für die Gewerkschaft, neue Mitglieder zu werben?
Ja und nein. Denn durch die steigende Arbeitslosigkeit verlieren wir oft den Kontakt. Die stillen Austritte durch Arbeitslosigkeit sind unser größtes Problem.
Am Montag wurde der Sozialbericht präsentiert, der bei den Arbeitseinkommen einen relativen Rückgang zu Einkommen aus Besitz und Vermögen ausweist. Hat die Gewerkschaft für ihre Mitglieder in den Tarifverhandlungen zu wenig herausgeholt?
Sicher nicht. Sowohl die KV-Erhöhungen als auch die Ist-Lohnerhöhungen sind höher als die Inflation ausgefallen. Allerdings muss man bedenken, dass wir Bruttolöhne verhandeln und in den Einkommensstatistiken für 3,4 Millionen Arbeitnehmer auch 300.000 Teilzeitbeschäftigte enthalten sind. Und man muss bedenken, dass sehr viele Arbeitnehmer durch die Betriebspensionskassen auch Geldvermögen angesammelt haben, das allerdings durch den Crash völlig entwertet wurde. Das zeigt, dass es sinnvoller ist, die ASVG-Pension zu stärken. Denn jeder Euro, der für eine private oder betriebliche Pension gespart wird, wird dem Konsum entzogen und dient nur der Vermögensbildung für einen sehr viel späteren Zeitpunkt. Während Einzahlungen in die Sozialversicherung durch das Umlageverfahren direkt als Pension ausgezahlt werden und damit dem Konsum dienen.
Sollte man demnach die Pensionskassen auflösen?
Das ist eine Illusion, immerhin sind bereits 560.000 Menschen in betrieblichen Pensionskassen. Man sollte aber wieder eine Mindestverzinsung und eine höhere Absicherung verlangen. Es wäre natürlich ein Weg, Steuerbegünstigungen für die Veranlagung in Pensionskassen zurückzufahren. In allererster Linie gehört die ASVG-Pension gestärkt.
Wie beurteilen Sie die bisherigen Konjunkturmaßnahmen der Bundesregierung?
Es ist gut, dass rasche Entscheidungen getroffen worden sind. Wichtig ist, dass das nun rasch bei den Menschen ankommt. Wir hätten bei der Steuersenkung gerne mehr gehabt, aber man braucht eben auch Geld, um die Investitionen der öffentlichen Hand anzukurbeln.
Sie sprechen von einer Steuersenkung, nicht von einer Steuerreform. Tatsächlich scheinen die Rufe der Arbeitnehmervertreter nach einer Änderung der Steuerstruktur, die Vermögen stärker in die Pflicht nimmt, ungehört verhallt zu sein.
Momentan gilt es, die Probleme der Finanzkrise zu lösen. Es kann durchaus sein, dass wir noch weitere Maßnahmen brauchen. Ungeachtet dessen werden wir aber auch eine Steuerstrukturreform brauchen, die den Faktor Arbeit stärker entlastet. Jetzt ist zwar der denkbar ungünstigste Zeitpunkt für eine Vermögenszuwachssteuer, die Finanzkrise wird aber irgendwann vorbei sein. Was wir brauchen, sind eine Finanztransaktionssteuer und eine Wertschöpfungsabgabe. Wir werden dieses Thema nicht unter den Tisch fallen lassen.
Die Bundesregierung will das Know-how der Sozialpartner auch in Zusammenhang mit der Zuwanderung nutzen. Über eine "Rot-Weiß-Rot-Card" sollen gut ausgebildete Arbeitskräfte ins Land geholt werden.
Wir sind sehr vorsichtig, was diese Idee betrifft. Was soll das angesichts der zunehmenden Probleme am Arbeitsmarkt bringen? Wir haben genug Potenzial, die Fachkräfte, die wir brauchen, selbst auszubilden. Die ganze Debatte offenbart nur ein jahrzehntelanges Versäumnis der Wirtschaft bei der Lehrlingsausbildung. Erst in den letzten Jahren hat sich das gebessert. Durch den Konjunkturabschwung besteht aber nun die große Gefahr, dass man wieder ins alte Fahrwasser zurückfällt.
Das neue Zuwanderungssystem soll 2010 in Kraft treten. Ist das realistisch?
Der Zeitpunkt ist nicht so wichtig. Wichtig ist, dass etwas Gescheites dabei herauskommt.
Hauptbetroffen von der Krise sind bis jetzt Leiharbeiter. Ende 2008 waren 32.700 Zeitarbeiter arbeitslos - rund ein Drittel der Branche. Ist es nicht bedenklich, dass es hier einen parallelen Arbeitsmarkt gibt, auf dem in guten Zeiten zwischengeschaltete Firmen ordentlich verdienen, die ihre Lasten in Krisenzeiten an den Staat abgeben?
Das ist seit eh und je unsere Kritik an diesem ganzen System. Es hat sich allerdings in dieser Branche auch viel entwickelt. Zeitarbeiter können nun auch kurzarbeiten. Jetzt sind wird dabei, eine Branchen-Arbeitsstiftung auf die Beine zu stellen. Dennoch ist Zeitarbeit sicher eines der Hauptfelder, wo wir Verbesserungen brauchen.
Welche Wünsche haben Sie sonst an die neue Bundesregierung?
Alle Kraftanstrengungen zu unternehmen, um Arbeitslosigkeit einzudämmen und den Anstieg der Armut zu bekämpfen. Wir sind dafür, für Investitionen ein Budgetdefizit in Kauf zu nehmen. Dieses muss man aber im Auge behalten, sonst müssen am Ende wieder die Beschäftigten dafür aufkommen. Wichtig ist, dass sich in Zukunft die Finanzwirtschaft wieder an der Realwirtschaft orientiert. Die Realwirtschaft ist das Maß der Dinge. Die Leidtragenden an der Finanzkrise werden die kleinen Leute sein. Wir haben dieses System seit Jahren kritisiert. Leider haben wir recht gehabt.
Zur Person
Erich Foglar(53) ist gelernter Werkzeugmacher. Er war Betriebsrat bei Philips, absolvierte die Sozialakademie und ÖGB-Schulungen. Als Finanz- und Organisationstalent wurde er im Zuge der Bawag/ÖGB-Krise 2006 Finanzchef des ÖGB, löste aber noch im selben Jahr Rudolf Nürnberger an der Spitze der Metaller-Gewerkschaft ab. Der Wechsel von Rudolf Hundstorfer im Dezember 2008 in die Regierung ebnete ihm den Weg an die ÖGB-Spitze. Anfang Juli wird er am Bundeskongress gewählt.