Beim Thema Missbrauch ist der Fokus auf die katholische Kirche sicher zu eng gefasst.
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Er wollte seinem einstigen Peiniger "nicht den Lebensabend versauen", erklärte Josef Haslinger auf die Frage, warum er so lange gewartet hat, bis er sich in seinem neuen Buch "Mein Fall" von der Seele geschrieben hat, was ihm einst als Sängerknabe im Stift Zwettl angetan worden war: den sexuellen Missbrauch durch einen Pater.
Weil "Mein Fall" kein Einzelfall ist, setzte die Österreichische Bischofskonferenz vor zehn Jahren - spät, aber doch - eine unabhängige Opferschutzkommission unter der Leitung der früheren steirischen Landeshauptfrau Waltraud Klasnic ein.
An diese Kommission wandte sich der heute 64-jährige Autor Haslinger im Jahr 2018, nachdem der Pater verstorben war. Ihm geht es mit "Mein Fall" nicht um persönliche Rache, sondern um gesellschaftliche Bewusstseinsbildung. Sein Fall illustriert aber auch eines der Grundprobleme, mit denen die Kommission, deren 2010 entwickeltes Entschädigungsmodell später von staatlichen Stellen übernommen wurde, oft konfrontiert ist: Zwar gilt seit 1. Jänner 2010 eine verlängerte Verjährungsfrist bei sexuellem Missbrauch von Minderjährigen, sodass eine strafrechtliche Verfolgung möglich ist, bis das Opfer 48 Jahre alt ist. Jedoch haben sich die meisten der rund 2.000 Vorfälle im Kirchenbereich, in denen die Opfer eine Entschädigung beziehungsweise therapeutische Hilfe bekamen - insgesamt wurden bisher 24 Millionen Euro zur Verfügung gestellt -, viel früher ereignet (siehe Haslinger). Viele Betroffene schaffen es aber erst nach Jahrzehnten, über ihre Erfahrungen zu sprechen.
Dazu kam natürlich lange Zeit auch ein kirchliches "Schweige- und Vertuschungskartell", wie es der Sprecher der Opferschutzkommission, Herwig Hösele, nennt. Dieses wurde erst unter den Päpsten Benedikt XVI. und Franziskus vorsichtig aufgebrochen, und bis heute ist nur allzu oft die Rede von Zahnlosigkeit.
Zumindest für Österreich ist davon auszugehen, dass der Höhepunkt der kirchlichen Missbrauchsenthüllungen vorbei sein dürfte, weil hier mit der Aufarbeitung früher begonnen wurde als in anderen Ländern. In diesem Zusammenhang hat Hösele, der von hohen Dunkelziffern ausgeht, einmal im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" darauf hingewiesen, dass allein in Einrichtungen der Gemeinde Wien mit rund 3.000 Missbrauchsfällen mehr bekannt wurden als im gesamten Bereich der katholischen Kirche Österreichs. Da fragt man sich: Wenn schon die katholische Kirche mit ihren hohen moralischen Ansprüchen so ein massives Missbrauchsproblem hat - wie sieht es dann wohl in der Gesellschaft insgesamt aus? Die Antwort darauf tut vermutlich sehr weh.