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Das Mantra, ursprünglich ein heiliges, magisches Wort, ist im Zuge der Globalisierung zur Designerphrase verkommen. Während es dem gläubigen Buddhisten zur Tilgung angehäufter Schuld dienen soll, wird es in den säkularen Gesellschaften des Westens nur mehr als Sinnersatzformel verwendet. Das Mantra des ORF-TV heißt "Leif". (Stammt aber nicht, wie es den Anklang hat, aus dem Norwegischen, sondern ist englischer Herkunft.) "Leif" ist in aller Küniglberger Munde. "Leif" ist das Beste, was das Fernsehen zu bieten hat. "Leif" ist schöner als das Leben selbst.
Man muss kein Buddhist sein, um das Radio lieber zu haben. Dort gibt es zum Beispiel noch die schöne, alte Direktübertragung. Funktioniert tadellos. Mindestens so gut wie "leif". Davon konnte man sich erst neulich wieder überzeugen, nämlich bei "Kabarett direkt". Ö1 sendet rund zehnmal im Jahr, stets am Freitagabend, ein Kabarettprogramm, und zwar eben unmittelbar aus einem Kleinkunstlokal. Zuletzt waren Andrea Händler und Dolores Schmidinger zu hören. Die beiden spielten "Alltagsgeschichten" nach, das heißt, sie reproduzierten wortwörtlich Szenen aus Elizabeth T. Spiras gleichnamiger TV-Dokumentationsserie. Aus der Menge von kuriosen, skurrilen, abstrusen, ordinären Äußerungen, die Spira einigen ausgewählten Außenseitern der Gesellschaft sozusagen entlockt hatte, wählten die Kabarettistinnen ein paar besonders effektvolle aus - und verstärkten den komisch-absurden Charakter der Grundtexte durch den Einsatz kräftiger karikaturistischer Mittel. Dank Ö1 gelangten diese Extrakte absonderlicher Lebensansichten auf dem Weg kleinkünstlerischer Übertragung direkt an unser Ohr.