War das Echo nach der Bekanntgabe der Empfehlung der EU-Kommission auch durchwegs positiv, mischten sich in den Jubel über mögliche Beitrittsverhandlungen mit Ankara leise Zweifel. Als Kandidat zweiter Klasse will die Türkei nicht gelten.
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Jack Straw sparte nicht mit Lobesworten. Die Türkei habe in sehr kurzer Zeit außerordentliche Ergebnisse erzielt, meinte der britische Außenminister bei seinem gestrigen Besuch in Ankara. Daher würden auch bald die Skeptiker von der Bedeutung einer EU-Mitgliedschaft überzeugt werden. Doch ein wenig Skepsis war auch in der Türkei zu spüren. "Wir müssen uns damit abfinden: Die EU wird die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei anders führen als mit anderen Kandidaten", kommentierte eine Zeitung.
Denn die EU-Kommission hat vorgeschlagen, an die Gespräche Bedingungen zu knüpfen: So sollen die Verhandlungen sofort ausgesetzt werden können, wenn es bei den Reformen zu ernsthaften Rückschlägen kommt. "Durchaus gemischte Gefühle" in Bezug auf die Entscheidung räumte auch Erweiterungskommissar Günter Verheugen ein. Doch es sei eine Risikoabschätzung gewesen.
Während die USA den Kommissionsbericht begrüßten und Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi auf die Festlegung eines Datums für den Beginn von Verhandlungen drängte, sprach sich der luxemburgische Premier Jean-Claude Juncker gegen einen raschen Beitritt der Türkei zur EU aus. "Wir lehnen die Idee ab, dass der Beitritt der Türkei im Galopp vollzogen werden kann", erklärte er gestern.
In Deutschland plädierte CDU-Vorsitzende Angela Merkel einmal mehr für eine "privilegierte Partnerschaft" statt einer Vollmitgliedschaft. Französische Politiker - unter ihnen 50 Abgeordnete der konservativen UMP von Ministerpräsident Jacques Chirac - verlangten eine parlamentarische Debatte und Abstimmung noch vor dem Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefs im Dezember.
Auch in Österreich riss die Debatte um einen EU-Beitritt der Türkei nicht ab. Die ÖVP begrüßte die Brüsseler Entscheidung, Gespräche mit "offenem Ausgang" zu führen. Der Grüne Bundessprecher Alexander Van der Bellen forderte die Bundesregierung auf, die Bevölkerung seriös über die Folgen eines möglichen Beitritts zu informieren. Und SPÖ sowie FPÖ sandten unterschiedliche Signale aus. SPÖ-Vorsitzender Alfred Gusenbauer lehnte einen Beitritt ab, Wiens Bürgermeister Michael Häupl konnte sich diesen vorstellen, Klubobmann Josef Cap setzte sich für ein "EWR-Modell" ein. FPÖ-Obfrau Ursula Haubner sah sich durch den Bericht der Kommission in ihrer Linie bestätigt, während Vizekanzler Hubert Gorbach gegen die Eröffnung von Verhandlungen war.
Wann diese starten könnten, sollen die EU-Staats- und Regierungschefs im Dezember entscheiden. Nach Ansicht der niederländischen EU-Ratspräsidentschaft wäre ein Beginn Mitte 2005 möglich.