Begrenzte Vertragsänderung zeichnet sich ab. | Faymann erwartet konkretes Modell bis März. | Brüssel. Schon zu Beginn des EU-Gipfels am Donnerstagabend zeichnete sich eine lange Verhandlungsnacht für die Staats- und Regierungschefs ab. Denn scheinbar unversöhnlich standen sich zwei Lager gegenüber. | Euro-Kollaps noch nicht vom Tisch | EU-Maßnahmen zur Abwendung künftiger Katastrophen
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Deutschland und Frankreich auf der einen Seite beharrten auf einer Änderung des Lissabonner Vertrags zur rechtlichen Absicherung eines dauerhaften Krisenmechanismus, falls neuerlich die Pleite eines Eurolands drohen sollte. Dabei sollen künftig auch die Banken zur Kasse gebeten werden. Auf der anderen Seite standen die meisten anderen Länder, die zwar ebenfalls einen Krisenmechanismus für die Zeit nach 2013 wollten, aber einer Vertragsänderung skeptisch gegenüberstanden. Dazwischen positionierten sich die Briten, die zwar nichts gegen eine Anpassung des EU-Grundrechts einzuwenden hatten, die Gelegenheit aber gerne nutzen wollten, einige Vorteile aus der Situation zu schlagen.
Briten wollen kleineres EU-Budget erreichen
Für die Heimatfront hatte sich der britische Premier David Cameron vorgenommen, eine Steigerung des EU-Budgets für 2011 um 5,9 Prozent gegenüber heuer deutlich zu kürzen. Damit will er seinen Bürgern offensichtlich das drastische Sparpaket im Vereinigten Königreich ein wenig verständlicher machen.
Auf den zweiten Blick zeichnete sich aber früh eine mögliche Kompromisslinie zwischen den feindlichen Fronten ab. Der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann nahm bereits bei seinem Eintreffen vorweg, dass er einen Auftrag an EU-Ratspräsidenten Herman Van Rompuy oder die Kommission erwarte, bis Dezember oder März ein Modell für einen Krisenmechanismus auszuarbeiten. Die Frage schien nur noch, wie dieses Ansinnen formuliert werden soll und ob das Wort Vertragsänderung darin vorkommt.
Doch vorerst schossen sich die Kritiker des deutsch-französischen Tandems auf das deutsche Anliegen eines Stimmrechtsentzugs für notorische Defizitsünder ein. "Nicht akzeptabel" sei dieser Vorschlag, meinte Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso. Der irische Premier Brian Cowen, Schwedens Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt und Faymann erteilten einem solchen Schritt vorsorglich eine Absage. Dass diese deutsche Forderungen nur noch Verhandlungsmasse war, war in Brüssel zwar längst kein Geheimnis mehr. Wohl um den Verhandlungsdruck aufrechtzuerhalten, beharrte Bundeskanzlerin Angela Merkel weiter darauf.
Fans eines strengeren Paktes sind enttäuscht
Dass sie stilistisch zuletzt kein glückliches Händchen hatte, zeigt die Einigung mit dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy: De facto automatische Sanktionen für Stabilitätspaktsünder wurden im Gegenzug für die Pariser Unterstützung für eine Vertragsänderung gestrichen. Damit wurde zwar die Blockade der Van Rompuy-Arbeitsgruppe ("Task-Force") im Streit über Strafmaßnahmen aufgelöst. Viele kleinere Staaten fühlen sich jedoch überfahren. "Unmöglich" finde er das Vorgehen der Großen, meinte der Luxemburger Regierungschef Jean-Claude Juncker. Fans eines besonders strengen Stabilitätspakts wie die Schweden, Dänen und Finnen seien inhaltlich enttäuscht gewesen, hieß es.
Doch in der Sache scheinen sich Merkel und Sarkozy durchzusetzen. Deutschland hat klargemacht, dass es den Rettungsschirm mit Hilfen von bis zu 750 Milliarden Euro nicht über 2013 hinaus verlängern wird. Denn noch laufen Klagen von Gegnern des Projekts beim Bundesverfassungsgerichtshof in Karlsruhe. Nur weil die Milliardenaktion ausnahmsweise, im Notfall und befristet stattfinden soll, hofft Merkel auf den Segen der Richter. Für künftige Rettungsmaßnahmen will die Bundeskanzlerin EU-rechtliche Sicherheit. Wie die Vertragsänderung aussehen soll, war noch nicht klar. Offenbar soll das "Bail-out-Verbot", das die Übernahme von Schulden durch ein anderes Land untersagt, faktisch außer Kraft gesetzt werden, falls die Eurozone als Ganzes in Gefahr ist.
Dabei handle es sich um eine punktuelle Anpassung des Lissabonner Vertrags, hieß es aus der Kommission und mehreren Delegationen. Ohne weitere Kompetenzübertragungen an Brüssel dürften auch keine Referenden für die Ratifizierung notwendig sein.
Der griechische Premierminister Giorgos Papandreou und der finnische Finanzminister Jyrki Katainen gaben sich aufgeschlossen gegenüber einer begrenzten Vertragsänderung. Dem britischen Premier Cameron wolle man mit einer Reduzierung des Haushaltsanstiegs auf 2,9 Prozent entgegenkommen, hieß es. Doch wie es die übliche Dramaturgie auf EU-Gipfeln erfordert, darf es einen Kompromiss erst nach stundenlangen Verhandlungen mitten in der Nacht geben.