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Leitsignale japanischer Atom-Demokratie?

Von Marco Büscher

Gastkommentare
Marco Büscher ist Unternehmensberater mit Fokus Japan, China, Kommunikation und Kapitalmärkte.

Japan votiert unter Premier Shinzo Abe gegen Risiken - "Abenomics" Energieabhängigkeit.


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Mehr als drei Jahre nach der Erdbeben- und Tsunamikatastrophe in Japan tritt aus dem Atomkraftwerk Fukushima weiterhin Radioaktivität aus. Haruki Murakami, der hier wohl bekannteste japanische Schriftsteller, erklärte einige Monate nach der Atomkatastrophe von Fukushima: "Wir sind Opfer und Täter zugleich."

Während in Deutschland der Ausstieg aus der Atomenergie bis heute recht konsequent praktiziert wird, hat Japan nunmehr den Ausstieg vom Atomausstieg beschlossen. Diesen hatte Premierminister Shinzo Abe bereits nach seinem Amtsantritt Ende 2012 angekündigt. Wegen Widerständen in den Regierungsparteien musste dieser Beschluss mehrfach verschoben werden. Während in diesen Frühlingstagen in Japan Millionen Menschen traditionell die Kirschblüte - für die Japaner ein Fest, das als Synonym für Aufbruch, Schönheit und Vergänglichkeit steht - feiern, kehrt Japan trotz einer massiven Ablehnung in der Bevölkerung zurück zur Atomkraft. "Wir haben einen Energie-Plan entwickelt, der mittel- bis langfristig eine Energiepolitik wiederherstellt, die das Leben der Menschen und wirtschaftliche Aktivität unterstützt" erklärte Industrieminister Toshimitsu Motegi nach der Kabinettsentscheidung.

Die von Abe geführte Liberaldemokratische Partei setzte durch, was ihre engen Verbindungen zur finanzkräftigen Atomlobby erwarten ließen. Der neue Plan soll Japans Energieunabhängigkeit sichern, während wirtschaftliche Interessen vordergründig erscheinen. Die Einfuhr fossiler Brennstoffe belastet die Handelsbilanz der drittgrößten Volkswirtschaft. "Abenomics", Abes makroökonomische Strategie expansiver Geld- und Finanzpolitik, schwächte den Yen und förderte damit kurzfristig die Exporte Japans. Allerdings hatte der schwächere Yen negative Auswirkungen auf die Importpreise von Erdgas und Öl - ein Fallstrickhindernis in Abes Plan. Die Verschuldung Japans stieg unter Abe weiter ungebremst auf ein neues Rekordniveau von 245 Prozent des BIP.

Der neue Energieplan Japans macht keine Angaben, welchen Anteil die Atomkraft in Zukunft haben soll. Auch enthält er keine Informationen, ob auch ein Neubau von Atomkraftwerken geplant ist. Bei seinem Amtsantritt Ende 2012 verkündete Abe, dass er wieder Kernkraftwerksneubauten zulassen werde. Diese neuen Reaktoren würden sich vorgeblich "komplett von denen im Unglückswerk Fukushima Daiichi unterscheiden". Wollte Abe damit einen technologischen Quantensprung ankündigen?

Alle 48 verbliebenen Atomstromreaktoren sind aktuell wegen Sicherheitsrisiken außer Betrieb. Nach Expertenmeinungen einer Analyse der Nachrichtenagentur Reuters könnten bis zu zwei Drittel der alten Reaktoren nicht wieder ans Netz gehen, weil sie die nach Fukushima von der neuen Regulierungsbehörde NRA aufgestellten Sicherheitsanforderungen nicht erfüllen können.

Die Auswirkungen von Fukushima haben die Menschen in Japan nicht vergessen. Mindestens zwei Drittel der Bevölkerung sind - trotz gestiegener Strompreise - gegen ein Wiederhochfahren der Atomkraftwerke. In einer Umfrage der Zeitung "Asahi" votierten sogar 80 Prozent für den Ausstieg aus der Kernenergie. Wie Abe das japanische Verständnis von Demokratie hier interpretiert, bleibt unklar. Dass Japan seine Handelsbilanz heute nicht mehr mit technologischem Fortschritt früherer Alleinstellungsmerkmale aufpolieren kann, erscheint dagegen klar.

Falls Abe symbolische Ideen für eine Energiewende gewinnen möchte: Österreichs Volksabstimmung 1978 sagte mit knapper Mehrheit dem Atomkraftwerk Zwentendorf ab. Nun produziert es seit 2009 doch Strom für Österreichs Haushalte, denn es wird als Solarkraftwerk genutzt. Photovoltaik auf einem Atomkraftwerk - warum stehen die Japaner hier nicht für Fotos Schlange?

Fehlen es Japan neben wirklichen Strukturreformen für alternative Energiegewinnung vor allem an den politischen Voraussetzungen?

Die Energiewirtschaft in Deutschland hat einen weniger verflochtenen Einfluss auf die Politik. Japans Kehrtwende bleibt indes auch in Deutschland nicht ohne Auswirkungen. So gab der FDP-Spitzenkandidat für Europa bekannt, man müsse wenn nötig darüber reden, die Laufzeiten von Atomkraftwerken zu verlängern. Er wolle den Ausstieg Deutschland als Industriestandort nicht verantworten und verwies darauf, dass auch Japan seine ursprüngliche Entscheidung vom Atomausstieg gerade zurückgenommen habe. In Japan polarisiert diese Politik wenig. Die Ohnmachtshaltung der Wähler zeigt sich in frappierend geringer Wahlbeteiligung. So war die Rückkehr in die Kernenergie zur Zeit der Kirschblüte nur eine Nachricht unter vielen - mit entsprechender Wahrnehmung. Oster-Demonstrationen wie sind in Japan ein unbekanntes Phänomen. Die Kontrolle des staatlichen Fernsehens durch Abe-Seilschaften soll hier nicht thematisiert werden.

Ein wirkliches Thema ist, dass es nicht von wirtschaftlichem Streben oder kurzfristigen politischen Einschätzungen abhängt, ob Atomkraftwerke im tektonischen Risikogebiet Japans kontrollierbar sind. Die Erfahrungen lehren die unkontrollierbaren Gefahren. Das Wirtschaftsphänomen "Abenomics" sucht keinen Vergleich mit der strahlenden Schönheit der Kirschblüte, eher den Beweis von Nachhaltigkeit abseits der Vergänglichkeit eines Strohfeuers. Davon kann auch das Verständnis der Atom-Demokratie in Japan nicht ablenken. Die Seele der Samurai bedingte in der Schuldfrage zwischen Opfer und Täter keiner salomonischen Urteile, sondern eiserner Entscheidungen für das langfristige Leben und Wirtschaften auf einer Insel. Japan ist ein demokratisches Land. Zu welchem Ergebnis würde eine Volksabstimmung für ein atomfreies Japan führen?