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Gestern wurde mein Wortschatz erweitert. Die Lektion fand im Beiwagen der Straßenbahnlinie 5 statt. Lehrerinnen waren drei Mädchen, die in unüberhörbarer Lautstärke ihre sexuellen Erfahrungen austauschten. Keines von ihnen hätte ich älter als 15 geschätzt, die Kleidung bei zweien hautengst mit Röckchen, die eher Nöckchen waren, also nicht vorhandene Röckchen, bei der dritten Jeans, die beim nächsten Niedersetzen wahrscheinlich geplatzt sind.
Nur eine bewusste Provokation, über die man als überlegener Erwachsener lächeln sollte? - Aber ist es wirklich so einfach?
Unsere sogenannte Jugendkultur besteht nicht nur, aber auch und in zunehmendem Ausmaß aus aggressiver Sprache, aggressiver Kleidung und aggressiver Musik. In Videospielen kann man im harmloseren Fall Massen von Dämonen und Zombies abknallen, im weniger harmlosen erschreckend realistische Menschen. Und wenn ein Zwölfjähriger, der eben einen Treffer gelandet hat, auf die Frage, ob ihm klar ist, was er gemacht hat, die Antwort gibt: "Aber das waren doch nur Feinde" (ich bitte das "nur" zu beachten), dann steigt in mir ein mulmiges Gefühl hoch. Das Bürschlein ist schließlich kein Einzelfall.
Klagen über die Schlechtigkeit der Welt und die Verrohung der Gegenwart werden längst nicht mehr ernst genommen, man gilt als "out" und verstockt, wenn man versucht gegenzusteuern. Und findige Psychologen erklären, dass die Übersexualisierung und die zunehmende Gewalt unter Jugendlichen damit absolut nichts zu tun haben. - Gut, glaube ich halt den Fachleuten. Und womit hat es dann zu tun?