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Er habe ihr nur eine Lektion erteilen wollen, gab der junge Mann zu seiner Verteidigung an, als er sich kurz vor Weihnachten in Graz der Anklage wegen Mordes an einer jungen Frau stellen musste. Sie habe ihn zuerst untergetaucht, und weil er das scheußliche Wasser des Teiches schlucken musste, in dem die beiden nach ausgiebiger Zecherei am frühen Morgen Abkühlung - oder weitere Erhitzung, wer weiß... - gesucht hatten, hätte er Wut bekommen - aber auch Angst vor dem Ertrinken, da hätte er nämlich ein ähnliches Erlebnis aus seiner frühen Jugend...
Und dieses Erlebnis, vermute ich, hat er nie aufgearbeitet. Sonst wäre er aller Wahrscheinlichkeit nach nicht in die Psychofalle getappt, anderen das anzutun, was ihm einmal angetan wurde.
Wiederholungszwang heißt das in der Psychoanalyse und den findet man immer wieder im Hintergrund von Gewalttaten. Wer Gewalt erfährt, lernt dadurch primär, wie man Gewalt inszeniert. Wie man auf Gewalt verzichtet, lernt man dadurch nicht - dazu braucht es ein Vorbild von gewaltfreien Spontanreaktionen.
Verteidigungsstrategien
Gewaltverzicht lernt man aber auch nicht durch den Strafvollzug, und man lernt ihn auch nicht durch eine Aburteilung. In der Rechtswissenschaft gilt zwar noch immer die "Generalprävention", was bedeutet, darauf zu vertrauen, dass die Strafdrohung vor Begehung von Verbrechen abschrecken kann und wird. Die alltägliche Erfahrung zeigt das Gegenteil. Ergänzend dazu soll die "Spezialprävention" bereits straffällig gewordene Menschen vor weiteren Straftaten abhalten. Auch das funktioniert nicht - eher hingegen die quasipädagogische Betreuung durch Bewährungshelfer.
Was nämlich die meisten Menschen, die zur Mitwirkung an der Rechtssprechung aufgerufen werden - als Laien wie auch als Richter oder Sachverständige - nicht bedenken, ist, dass Gewalttaten nicht allein den Fokus der beabsichtigten Verletzung oder Vernichtung leibseelischer Unversehrtheit umfassen, sondern auch das beanspruchte "Recht", andere zu bestrafen, egal wie gefährlich oder grausam solche "Lektionen" ausfallen.
Mit "Hätt's eahm net g'reizt!" schieben dann viele Beobachter ihre Mitverantwortung für die Toleranz gewalttätigen Agierens von sich. "Soziale Gewalt" heißt das in der Gewaltforschung: Man schaut zu (wie bei einem Filmgeschehen), tut nichts (auch nichts zur Persönlichkeitsverfeinerung von Grobianen) und fördert so die Wiederholungstaten.
Der junge - laut Psychiater "geistig einfach strukturierte" - Steirer bekam von den Geschworenen - noch nicht rechtskräftig - drei Jahre Haft wegen Körperverletzung mit tödlichem Ausgang zugemessen. Für Bankraub hätte er mehr "gefasst".
Neujahrswunsch
Auch wenn noch immer wenige Menschen wissen, dass die "g'sunde Watschn" nunmehr seit über 15 Jahren verboten und strafbar ist, hat sich in unserem Kulturkreis zumindest bei den Gebildeteren doch langsam das Bewusstsein durchgesetzt, dass körperliche Züchtigung kein geeignetes Mittel zur Kindererziehung ist. Körperliche Übergriffe sind aber auch kein geeignetes Mittel der Kommunikation, der Konfliktlösung, und Spaß sind sie auch keiner. Das hat der junge Mann, der in Graz vor Gericht stand, selbst erlebt. Gelernt hat er daraus offensichtlich nichts.
Ich wünsche mir daher für die Zukunft mehr Diversion - pädagogisch wirksame Auflagen und Reuetaten - bei Straftaten, die missglückte Beziehungen widerspiegeln. Dazu wäre es hilfreich, wenn bereits im Rechtsstudium das nötige Wissen vermittelt würde - und ebenso in den Medien. Denn das sogenannte gesunde Volksempfinden - auch der Laienrichterschaft - zählt trotz gegenteiliger Beweise leider immer noch auf die Allmacht von Gewalt.