Zum letzten Mal soll ein europäischer Raumtransporter zur Internationalen Raumstation ISS starten.
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Kourou/Wien. Auch die europäische Raumfahrtbehörde ESA setzt finanzielle Prioritäten und stoppt ihr Raumtransporter-Programm früher als geplant. Der fünfte ATV-Frachter "Georges Lemaître", benannt nach dem Begründer der Urknall-Theorie, ist der letzte europäische Raumtransporter, der zur Internationalen Raumstation ISS startet. Danach wird der Außenposten der Menschheit von amerikanischen und russischen Transportern versorgt. Die ESA soll jedoch am neuen US-Shuttle-Programm mitwirken.
Planmäßig sollte das letzte "Automated Transfer Vehicle" der ESA heute um 01:47 vom Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guyana starten. An Bord sind Experimentiermaterial, Nahrungsmittel und Kleidung für die ISS-Besatzung. Das Team kann sich auf Käsespätzle, T-Shirts, 50 Kilo Kaffee und 850 Liter Wasser freuen. Mit einem Gesamtgewicht von 20 Tonnen ist "Georges Lemaître" die schwerste Nutzlast, die jemals von einer Ariane-5-Rakete in die Erdumlaufbahn gebracht wurde.
Zu den wissenschaftlichen Instrumenten an Bord gehört der
Laserinfrarotbildsensor "Liris". Mit seiner Hilfe sollen Lenkungs-, Navigations- und Steuerungssysteme für Anflüge an Weltraummüll oder Asteroiden entwickelt werden. Zudem ist ein spezieller Schmelzofen für Materialforschung dabei. Die von der Firma Airbus Defence and Space gebaute Experimentieranlage beruht auf elektromagnetischer Schwebetechnik. Sie soll Erkenntnisse über Halbleitermaterialien und deren Eigenschaften im geschmolzenen Zustand liefern. Ziel ist, industrielle Gießvorgänge zu verbessern. Die ATV-Mission soll sechs Monate dauern. Als große technische Errungenschaft gilt ein vollautomatisches System, mit dem der Frachter an die ISS andockt. Lange mussten Transporter von der Besatzung an die Raumstation angeschlossen werden. Nun aktiviert sich der Ankopplungsmechanismus von selbst. Das Manöver ist für den 12. August vorgesehen.
Nachdem der Frachter entladen ist, wird er allmählich mit Raumstationsmüll beladen. Zur Abreise dockt er vollautomatisch ab und wird zum kontrollierten Absturz gebracht. Bei seinem Wiedereintritt in die Erdatmosphäre wird "Georges Lemaître" über dem Südpazifik verglühen.
Ursprünglich war eine größere Zahl an ATV-Transportern zur ISS geplant. Grund für die Einstellung des europäischen Programms sind vor allem knappe Kassen in den Mitgliedsländern infolge der Wirtschaftskrise. Mit Ausnahme des Wissenschaftsprogramms, das Grundlagenforschung durch Mitgliedsbeiträge auf Basis des Bruttoinlandsprodukts finanziert, können die Mitgliedsstaaten ihre Unterstützungen frei wählen. So zahlt Österreich 52 Millionen Euro ESA-Mitgliedsbeitrag pro Jahr, macht aber beim Programm zur bemannten Raumfahrt nicht mit, weil die Industrie nicht profitieren würde.
Industriesubvention
"Mitgliedsbeiträge an die ESA sind eine Subvention der Raumfahrtindustrie", erklärt Wolfgang Baumjohann, Chef des Grazer Instituts für Weltraumforschung. Jedes Land bekommt sein Geld in Form von Industrieaufträgen zurück. "Ein Ziel der ATV-Transporter war automatisiertes Andocken. Das ist nun möglich. Eine weitere Unterstützung des Programms wäre also eine reine Subvention - mit wenig Erkenntnisgewinn", erklärt Baumjohann.
Für Harald Posch, Chef der Austrian Space Agency und Mitglied des ESA-Rats, haben die ATV-Frachter "zwei Nachteile: Sie sind nicht bemannt und können nicht zur Erde zurückkehren." Künftig will Europa an der nächsten Generation des US-Shuttle-Programms mitarbeiten. Für die Kapsel "Orion", die Flüge zum Mars ermöglichen soll, bauen sie ein Service-Modul. Auch das automatisierte Andocksystem soll zum Einsatz kommen. Einen gravierenden "Geldmangel" der ESA sieht Posch derzeit nicht: "Das ESA-Budget liegt bei rund vier Milliarden Euro pro Jahr. Dieser Rahmen ist halbwegs konstant."
Die ISS soll bis 2020 betrieben werden, die USA wollen verlängern. Welche Prioritäten Europa hier setzt, will der ESA-Rat im Dezember entscheiden.