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Der Gedanke hält nicht immer Wort, jedoch das Wort hält mancherlei Gedanken, bemerkte Karl Kraus mit feinem Spott. Der Meister der Satire war auch ein subtiler Sprachkritiker. Die Suche nach der Idee hinter dem Wort treibt Sinnsucher vieler Disziplinen an: Rechtsausleger, Bibelexegeten, Literaturkritiker.
Sprachen sind historisch gewachsene Systeme. Ihre Wörter stellen keine zufällig entstandenen Lautgebilde dar, sondern Zeichen, die auf etwas verweisen, manchmal auch auf mehreres zugleich. Ihr Sinn kann sich ändern oder erweitern, je nachdem, wer ein Wort in welchem Zusammenhang gebraucht. Immer aber transportiert es eine bestimmte Sicht der Welt. Und so kommt es, dass Wörter für ein und dasselbe Ding in verschiedenen Kulturen von unterschiedlichen Ideologien grundiert sind. Dies gilt selbst für Fiskalisches, wie eine Expedition zu den sprachlichen Wurzeln des Begriffs „Steuer” zeigt:
Perspektive der Macht
Die Steuer: Jedermann ist von dem solcherart bezeichneten Obolus in irgendeiner Form betroffen und begreift: Nicht nur alles Gute kommt von oben! Steuern, auch das weiß der Nichtfachmann, sind eine Geldforderung der öffentlichen Hand, auch der Kirche, an den Bürger. Das Wort „Steuer” hat seinen Ursprung im althochdeutschen „stiura”. Dieses bedeutet „Stütze, Unterstützung, Hilfe”; aber auch „Steuer, Steuerruder”. Nun könnte man freilich übersetzen: Der Steuerzahler leistet Unterstützung - durch seinen Beitrag. Doch ebenfalls im althochdeutschen Wort angelegt ist die Vorstellung des „Steuerns”. Die Eintreibung von Steuern hat demnach einen politischen Lenkungs- oder Verteilungseffekt.
Den „Steuer”-Wörtern anderer Sprachen liegt ein noch stärkerer Lenkungsgedanke zugrunde. Die französische Vokabel „impôt” wie die italienische „imposta” gehen auf das lateinische Grundwort „imponere” zurück. Und dieses bedeutet, jemandem etwas auferlegen, aufzwingen. Die Perspektive des Herrschenden manifestiert sich auch im englischen Wort „tax”. Dieses leitet sich vom lateinischen „taxare” her, beruht mithin auf der Idee des Ein- und Abschätzens. Dieselbe Grundidee prägt den mittelalterlichen Begriff „Schatzung”, welcher sowohl für Steuer als auch für Besteuerung steht. Ob das Vermögen der Untertanen nun gelenkt oder geschätzt wird - das Ergebnis bleibt das gleiche: Der Bürger wird zur Kasse gebeten. Und trägt mitunter schwer an seiner Steuerlast.
Diese Sicht von unten kommt im niederländischen „belasting”, dem bis heute gültigen Wort für „Steuer”, zum Ausdruck: Schon in seinem Goldenen 17. Jahrhundert erhob Holland hohe Steuern, insbesondere auf Grund und Boden wie auf Geldvermögen. Die Belastungen wurden von der Bevölkerung jedoch akzeptiert und konnten in öffentlichen Steuerregistern eingesehen werden. Das verordnete Outing hatte einen bemerkenswerten Effekt, wie Jurist Christoph Schäfer auf dem Infoportal „NiederlandeNet” der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster ausführt: Je höher die in den Registern ausgewiesenen Steuern, „desto größer war auch das Ansehen des Steuerzahlers”. An solchen Untertanen hätte Monsieur Colbert, seines Zeichens Finanzminister Ludwigs XIV., seine Freude gehabt! Die Feste und Kriegszüge des Sonnenkönigs hatten die Schatztruhen geleert, was Colbert in tiefes Grübeln über die „Kunst der Besteuerung” stürzte. Diese, so schloss er denn, bestehe „ganz einfach darin, die Gans so zu rupfen, dass man möglichst viel Federn bei möglichst wenig Geschrei erhält.”
Geradezu olympisches Geschick bei der Sanierung des Staatshaushalts wird aktuell dem obersten „Gänserupfer” Griechenlands, Evangelos Venizelos, abverlangt. Die Hellenen werden schmerzlich viele Federn lassen müssen. Doch Federn, um bei dem Bild zu bleiben, geben allenfalls ein dickes Ruhekissen. Säulen lassen sich damit wohl kaum errichten. Das griechische Wort für Steuer, „phoros”, bedeutet jedoch genau das: „tragend”.
Der erlaubte Raub
Im Lauf der Geschichte haben sich schließlich fiskalische Maximen herauskristallisiert: Gerecht und ergiebig sollten Steuern sein, wohlfeil und praktikabel ihre Erhebung. Dass Ideal und Wirklichkeit mitunter auseinanderklaffen, ist eine Tatsache. Fest steht auch, dass Steuern einen - wenngleich notwendigen - Eingriff des Staates in privates Eigentum darstellen. Oder, mit Thomas von Aquin gesprochen, einen „erlaubten Fall von Raub”.
Dieser „Raub” wird seit rund 5000 Jahren praktiziert, mitunter in verdeckter Form. Eine Methode war die Neuprägung von Münzen zu gleichem Nenn-, aber geringerem Metallwert, eine andere das Beschneiden des Münzenrands. Der staatliche „Schnitt” kann viele Formen annehmen, wie manch kuriose Steuerkreation belegt:
Herd und Rauchfang gerieten dereinst ins Blickfeld der Herrschenden, wenn es galt, die einzelnen Haushalte als Beitragsleister zu erfassen. Die sogenannte Herdsteuer brachte unterschiedliche Nachfolgemodelle hervor, in England etwa die Fenstersteuer. Der Steuerbeamte musste nun kein Haus mehr betreten, um nach Herden zu suchen. Der Steuergegenstand war von der Straße aus zu ermitteln. Die stete und exorbitante Erhöhung dieser Steuer ließ die Hauseigentümer zur Gegenwehr schreiten: Sie mauerten einige Fenster zu. Die dann im Dunkeln saßen, waren meist die Mieter. Immerhin wurde die Fenstersteuer in England von 1696 bis 1851 eingehoben. In Frankreich war ihr 1798 nur ein kurzes Zwischenspiel von 100 Tagen beschieden. In Holland war die Fenstersteuer in die Personalsteuer integriert und wurde nach der Größe der jeweiligen Gemeinde bemessen.
Wie Herd, Schornstein und Fenster fungierte auch das Dach als Steuerbemessungsgrundlage. Dachsteuern waren etwa in Irland oder Österreich zu entrichten. Sie trafen vor allem Burgherrn oder Besitzer anderer großer Gebäude. Und die beschlossen nicht selten, allzu steuerintensive Objekte abzudecken, sofern diese keinen strategischen oder anderen Wert hatten. An eine Nutzung von Gebäuden ohne Dach war natürlich nicht zu denken, die Bauwerke wurden der Natur überlassen. Von diesem Kapitel zeugen zum Beispiel die Burgruinen Glanegg in Kärnten und Rauhenstein nahe Baden bei Wien.
Die Besteuerung nach Inventar oder Gebäudeteil scheint letztlich naheliegend. Doch man ersann zahlreiche Möglichkeiten, das Abgabevolumen zu steigern. Zur Zeit der Franken etwa hatten Untertanen die Möglichkeit, sich von der Fastenpflicht freizukaufen.
Jahrhunderte später wiederum gerieten Spatzen (Haussperlinge) ins Visier. Diese „Kulturfolger” zieht es in die Nähe menschlicher Siedlungen, ihre Vorliebe für Getreidekörner und Saatgut schmälert den Ernteertrag mitunter erheblich. Im Preußen des 18. Jahrhunderts war der Spatzenhunger zu einer veritablen Landplage geworden. Worauf König Friedrich der Große eine Art Kopfgeld auf die singenden Schädlinge aussetzte. Herzog Karl Eugen von Württemberg folgte dem Beispiel: Jeder Untertan hatte pro Jahr ein Dutzend lebender Spatzen abzuliefern. Dafür gab’s sechs Kreuzer. Wer nicht lieferte, bezahlte zwölf Kreuzer - eine Art Spatzensteuer. Dass diese Vögel auch nützlich Insektenfresser sind, hatte niemand bedacht: Die folgende Insektenplage bescherte der Spatzensteuer ein jähes Ende.
Nur zu oft hatte höfischer Pomp die Staatskassen Europas über Gebühren strapaziert. Der Adel kam dennoch nicht ungeschoren davon, zumal dem Fest meist ein herber Kater folgte: Zahlreiche höfische Luxusgüter wurden besteuert. Premierminister Johann Kasimir Kolbe von Wartenberg erwies sich in dieser Hinsicht als besonders kreativ. Er ersann an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert Steuern auf Perücken, Hüte und Strümpfe, auf Stiefel und Kutschen.
Ein Glanzstück preußischer Steuerfantasie bot wohl die - ebenfalls im 18. Jahrhundert erhobene - Jungfernsteuer: Jedes Mädchen musste bis zu seiner Heirat monatlich zwei Groschen bezahlen! In einer Zeit, wo finanzielle Unabhängigkeit für Frauen noch ein Fremdwort war, musste für Ehelosigkeit also auch noch Tribut geleistet werden.
Im Finden von Geldquellen bewies auch Zar Peter der Große Kreativität. Er besteuerte sogar Särge aus Eichenholz. Mit der Bartsteuer indes setzte er einen symbolischen und erzieherischen Akt der Modernisierung. Sein Reich war reich an Vollbart-Untertanen. Zu jener Gruppe gehörten insbesondere Bauern und Altorthodoxe. Sie verkörperten in den Augen des Regenten das rückständige, in seinen Traditionen erstarrende Russland. Also setzte der Zar ein Zeichen - und schnitt seinen Gästen bei einem Empfang höchstpersönlich die Bärte ab. Aus dem Skandal wurde ein Ritual, als Barbier agierte der Hofnarr. Ab 1698 schließlich hatte jeder Untertan, der seinen Bart behalten wollte, eine Steuer zu berappen. Als Zahlungsbestätigung erhielt er ein Kupferstück. Trug er diese „Bartkopeke” nicht ständig bei sich, lief er Gefahr, bei Kontrollen erst recht Haare lassen zu müssen.
Die französische Variante der Bartsteuer entsprang keinem Modernisierungswillen, sondern einem Kräftemessen zwischen Krone und Kirche. Die Steuer sollte Geistliche davon abhalten, die Bartmode von König Franz I. nachzuahmen. Zeigten sich kirchlichen Würdenträger bei Hofe dennoch mit Bart, zahlten sie eine Abgabe.
Minne, Sex und Chips
Immer wieder waren im Lauf der Geschichte auch Nahrungs- und Genussmittel mit Steuern belegt worden: Nüsse und Eis, Tee und Kaffee, Salz und Zucker. Was einst Luxus war, wird heute in rauen Mengen genossen. Zuviel, befindet Ungarns Regierung, und erhebt ab September 2011 eine „Chipssteuer” auf Fastfood.
Nicht um gesunde Bürger, sondern um gerechte Kommunalfinanzierung ging es der Stadt Köln, als diese 2003 eine „Sexsteuer” einführte - für „die gezielte Einräumung der Gelegenheit zu sexuellen Vergnügungen” und für „das Angebot sexueller Handlungen gegen Entgelt”. Ein lebensferneres Pendant ist aus dem Mittelalter überliefert: König Otto IV. machte den „Frauendienst” zu Geld. Das hoch ritualisierte Rittern der Minnesänger um edle Damen war nur noch gegen Einlösung einer entsprechend kostspieligen Konzession erlaubt.
Colbert hatte die Kunst der Besteuerung mit dem raffinierten Rupfen von Gänsen verglichen. Subtiler formulierte dies sein Landsmann, der Philosoph und Staatstheoretiker Montesquieu, in seinem Opus magnum „Vom Geist der Gesetze”: „Nichts erfordert mehr Weisheit und Klugheit, als die Bestimmung desjenigen Teils, welchen man den Untertanen nimmt und des Teils, welchen man ihnen lässt”.
Ingeborg Waldinger, geboren 1956, lebt als freie Journalistin in Wien und schreibt regelmäßig Reportagen und kulturhistorische Beiträge fürs „extra” und fürs „Wiener Journal”.