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Leopold Figl: Bauer und Staatsmann

Von Johannes Schönner

Gastkommentare

Der legendäre österreichische Bundeskanzler wäre heute 75 Jahre alt.


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Wer will heute noch auf einem Denkmal stehen? In einer Zeit, in der Heroen vom Sockel gestürzt, Entdecker und Weltkriegssieger Zusatztafel bekommen oder gänzlich der damnatio memoriae anheimfallen. Das Denkmal eines Leopold Figl – nicht bloß jenes am Minoritenplatz, sondern im Bewusstsein der Österreicher - steht auf den Säulen von persönlicher Bescheidenheit, moralischer Glaubwürdigkeit und natürlicher Volksnähe. Obwohl sich auch die Gegenwart nach genau diesen Attributen sehnt, würde Figl in der heutigen Mediengesellschaft vermutlich scheitern, vielleicht sogar der Lächerlichkeit preisgegeben.

Kurz vor dem Jahreswechsel 1945/46 wurde Figl zum ersten gewählten Bundeskanzler der Zweiten Republik angelobt. Die ersten zehn Jahre nach Kriegsende gelten heute als "Pionierzeit" der Zweiten Republik. Diese Zeit wird mit keiner anderen Persönlichkeit so sehr identifiziert, wie mit Leopold Figl. Er verkörperte den Selbstbehauptungswillen des jungen demokratischen Österreichs, das 1945 daranging, Elend und Not des Zweiten Weltkriegs zu überwinden und eine neue Gesellschaft aufzubauen.

Die Prägung seiner bäuerlichen Herkunft in Niederösterreich muss man berücksichtigen, will man seine Entwicklung und besonders seine Entscheidungen verstehen. Als sich Figl die Möglichkeit bot, in den Niederösterreichischen Bauernbund als Sekretär einzutreten, griff er zu. Rasch avancierte er zum Direktor. Stets unumstößlich war für ihn die kompromisslose Ablehnung des Nationalsozialismus und des Marxismus.

Schon am 12. März 1938 wurde Figl von den nationalsozialistischen Machthabern verhaftet und mit dem ersten sogenannten "Prominententransport" ins KZ Dachau, später ins KZ Flossenbürg überstellt, von wo er erst 1943 entlassen wurde. Körperliche Marter, Dunkelzelle und wochenlange Isolierhaft konnten ihn nicht brechen. Leopold Figl verkörperte das Bild des "Geistes der Lagerstraße" in besonderer Weise. Durch die dramatischen Einschnitte der Zwischenkriegszeit entscheidend geprägt, gab es für ihn nur den Weg einer konsensualen Demokratie.

Nach dem Attentat auf Hitler im Juli 1944 und der folgenden Verhaftungswelle wurde Figl im Herbst 1944 neuerlich inhaftiert und in das KZ Mauthausen gebracht. Ende Jänner 1945 brachte man ihn in das Wiener Straflandesgericht und nur der rasche Vormarsch der Roten Armee auf die Stadt Wien verhinderte am 5. April 1945 seine Exekution. Wenige Tage später, am 12. April 1945, wurde Figl vom sowjetischen Marschall Tolbuchin beauftragt, im Rahmen einer provisorischen Staatsregierung mitzuarbeiten.

Am 15. April 1945 gründete Figl gemeinsam mit Kunschak, Hurdes, Weinberger, Raab und anderen im Schottenstift in Wien die Österreichische Volkspartei. Mit den Sowjets verhandelte er über die Bildung einer provisorischen Regierung, war er doch als Vertrauensmann des christlichsozialen Lagers nominiert. Nebenbei organisierte Figl als provisorischer Landeshauptmann den Neuaufbau der NÖ Landesverwaltung. Darüber hinaus waren Verbindungen mit den westlichen Bundesländern herzustellen. Besondere Schwierigkeiten bestanden darin, Kontakte mit den Westalliierten herzustellen. Die deutsche Wehrmacht kapitulierte erst am 8. Mai, doch schon am 27. April 1945 war die Republik Österreich ausgerufen worden.

Am 25. November 1945 wurde in Österreich zum ersten Mal seit 1932 wieder demokratisch gewählt. Diese erste Nationalratswahl der Zweiten Republik bereitete den Kommunisten eine vernichtende Niederlage. Die Österreichische Volkspartei, an deren Spitze Figl im September 1945 getreten war, konnte bei diesen ersten Wahlen die absolute Mehrheit erreichen. Dennoch entsprach es dem politischen Grundkonsens, dass Figl trotz der absoluten Mehrheit seiner Partei eine Koalitionsregierung mit SPÖ und KPÖ bildete.

Das Bild eines mutigen und unerschrockenen Leopold Figl, der mit sowjetischen Generälen ohne ein Wort Russisch zu können um jede Tonne Getreide feilschte und sich trotz Drohungen nichts gefallen lässt, dieses Bild imponierte damals wie heute. Österreich war zwar mit dem Ende des Weltkrieges befreit, aber doch nicht frei. Laut Moskauer Deklaration aus dem Jahre 1943 wollten die Alliierten Österreich seine demokratischen Einrichtungen zurückgeben. Doch der beginnende Kalte Krieg zwischen den Blöcken in Ost und West verhinderte eine baldige Souveränität Österreichs. Leopold Figl war es, der in zermürbenden Verhandlungen mit den unberechenbaren Sowjets Österreich selbstbewusst und klug gegen die kommunistische Agitation verteidigte.

Die entscheidende Weichenstellung betraf das Erreichen der vollständigen Souveränität Österreichs. Von der Londoner Außenministerkonferenz im Jahre 1947, auf der zum ersten Mal über den Staatsvertrag verhandelt wurde, bis zur Berliner Außenministerkonferenz im Jahre 1954 war es immer Leopold Figl, der im Ringen um diesen Staatsvertrag an vorderster Stelle stand. Doch Figl war es nicht vergönnt als Bundeskanzler den Staatsvertragsabschluss herbeizuführen. Als nach den Nationalratswahlen im Februar 1953 die ÖVP zum ersten Mal stimmenmäßig hinter der SPÖ zurückblieb, wurde Julius Raab von der ÖVP als neuer Bundeskanzler nominiert. Schon damals, Anfang der fünfziger Jahre, personifizierte er den österreichischen Politiker der "Stunde null" und der "Poidl", wie er volkstümlich genannt wurde, galt bereits damals als moralische und politische Autorität.

Für wenige Monate kehrte Figl in den Niederösterreichischen Bauernbund zurück, ehe er im November 1953 von Julius Raab an die Spitze des Außenministeriums berufen wurde. Leopold Figl war es noch gelungen in der Präambel zum Staatsvertrag den Passus, wonach Österreich an der Teilnahme am Krieg an der Seite des Dritten Reiches eine gewisse Verantwortung trage, zu streichen. Niemand konnte diese Position besser und glaubwürdiger vertreten als der frühere KZler Leopold Figl. Mit dem Abschluss des Staatsvertrages war Figls politischer Zenit erreicht. Er wurde 1959 Erster Präsident des Nationalrates und 1962 niederösterreichischer Landeshauptmann. Es war die letzte, zugleich aber befriedigendste und glücklichste Periode seiner langen politischen Laufbahn. Kurz nach dem zwanzigjährigen Jubiläum der Gründung der Republik und der ÖVP starb Figl am 9. Mai 1965 an Krebs.

Figls politisches Weltbild beruhte auf Erfahrungen. Er ersetzte Theorie durch politischen Instinkt, der sich auch gegenüber politischen Gegnern mit einer besonderen Menschlichkeit verband. So wurde Leopold Figl zum Träger einer pragmatischen Politik, ohne dabei seine politischen Grundsätze zu vernachlässigen. Im Gegenteil, gerade weil er durch Herkunft, Religion und seinen eigenen Lebensweg über ein unerschütterliches, weltanschauliches und geistiges Fundament verfügte, war er in der Lage, auf den politisch Andersdenkenden zuzugehen und Kompromisse zu schließen. Niemand kann so ein "Denkmal" stürzen, ohne sich selbst dabei gleichzeitig zu diskreditieren. Solange die österreichische Geschichte über eine "tausendjährige Kulturtradition" und ein "christliches Fundament" definiert wird, steht sein Denkmal unbeirrt. Wenn allerdings eine dieser beiden Grundlagen unwiderruflich wegbricht, dann bricht auch das Figl-Denkmal zusammen. In diesem Fall wird sein gestürtztes Denkmal allerdings nicht das Letzte in Europa sein.

Dr. Johannes Schönner

Geschäftsführer des Karl von Vogelsang-Institut