Effizienz, Zukunftsorientierung und Leistungsstreben sind in der Schweiz wichtiger als in irgendeinem anderen Land.
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"Lern dieses Volk der Hirten kennen." So lautete der Aufruf des Freiherrn von Attinghausen in Schillers "Wilhelm Tell" zum Freiheitskampf der Schweizer Urkantone gegen Habsburgs Herrschaft. Diesen Vers wählte 1962 der Wiener Theaterkritiker und Schriftsteller Hans Weigel als Titel eines kleinen Büchleins, mit dem er den Österreichern die Schweizer Mentalität verständlich machen wollte. Wobei sowohl in seinem Buch wie auch in dieser Kolumne mit Schweiz nur der deutschsprachige Teil des Landes gemeint ist.
Grundlegend anders als in Österreich ist das Verhältnis der Schweizer zu ihrer Obrigkeit, in der Gemeinde, im Kanton oder im Bund. Behörden und staatliche Organe der Legislative und Exekutive sind für sie nur ein notwendiges Übel, nicht ein Moloch, der sie beherrscht, sondern ihr Untertan. Sie haben keinen Respekt vor den Repräsentanten des Staats oder seinen Verwaltungsorganen, die sich im schweizerischen System der direkten Demokratie in regelmäßigen Abständen der Wahl stellen müssen. Man braucht sie, aber das ist kein Grund, ihnen zu huldigen, sie zu verehren oder Angst vor ihnen zu empfinden. Wenn man sich mit ihnen auseinandersetzt, dann auf gleicher Ebene.
Auch Demokratie besteht nach schweizerischer Auffassung nicht im Vermeiden, sondern im fairen Austragen von Konflikten und Skandalen. Die Demokratie ist also nicht unvollkommen, wenn etwas passiert, sondern erst dann, wenn daraus nicht die entsprechenden Konsequenzen gezogen werden.
Aus diesen grundsätzlich verschiedenen Auffassungen von Staat und Demokratie lassen sich auch die meisten kulturellen Unterschiede zwischen der Schweiz und Österreich ableiten: Zum Beispiel sind Hierarchien und Titel in der Schweiz wesentlich weniger wichtig als in Österreich, vor allem mit der bei uns üblichen Erwähnung von akademischen Graden oder Amtstiteln können Schweizer wenig anfangen.
Auf der anderen Seite gelten in der Schweiz Regeln und Verordnungen als sinnvolle, von einer demokratischen Verwaltung erlassene Maßnahmen, deren Übertretung oft sehr streng geahndet wird. Für die österreichische Tendenz, Regeln gekonnt zu umgehen, wenn immer es eine Möglichkeit dazu gibt, fehlt in der Schweiz jegliches Verständnis.
Die Kriterien Effizienz, Zukunftsorientierung und Leistungsstreben sind in der Schweiz wichtiger als in irgendeinem anderen Land, wichtiger selbst auch als in Deutschland. Man versucht, mit höchstmöglicher Professionalität und Genauigkeit zu arbeiten und ist immer offen für Veränderungen, um bessere Resultate zu erzielen.
Auch in dieser Hinsicht leitet sich wirtschaftliches Verhalten vom politischen Bewusstsein ab: Der Drang nach Verbesserungen ist das Spiegelbild einer langen Tradition der Durchsetzung von Bürgermeinung in der direkten Demokratie, während Österreicher eher auf die Anordnung einer Verbesserung von oben warten.
So haben Schweizer auch in der Kommunikation einen sehr geringen Kontextbezug. Sie kommunizieren vor allem im geschäftlichen Bereich wesentlich direkter als Österreicher, die in Österreich üblichen, ja fast notwendigen Höflichkeitsfloskeln werden in der Schweiz als Zeitverschwendung betrachtet. Sitzungen können daher sofort beginnen und sind umso erfolgreicher, je schneller und effizienter sie abgeschlossen werden können.
Ordnung und Sauberkeit sind für Schweizer als Grundlagen für ein planvolles und effizientes Handeln extrem wichtig. Jede Form von Unordnung bereitet ihnen Unbehagen, während Österreicher ein ihrer Ansicht nach zu großes Ausmaß an Ordnung manchmal als einengend oder sogar als Beschränkung ihrer persönlichen Freiheit empfinden.
Gerhard Hain ist Managing Partner der Unternehmensberatung ti communication Dr. Fischhof GmbH in Wien.
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