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"Lerneffekt ist eine Illusion"

Von Walter Hämmerle

Politik
Schicksalshafte Nacht: Bis in die Morgenstunden des 14. Dezember 2009 verhandeln Finanzminister Josef Pröll (r.) und Staatssekretär Andreas Schieder mit den Bayern über die Notverstaatlichung der Hypo.
© photonews.at/

Der Umgang mit Finanzkrisen sollte zum kleinen Einmaleins für Regierungen gehören. Tut er aber nicht. Wieso?


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Wien. Finanzkrisen und Politik: Das sollte eigentlich ein eingespieltes Duo sein. Immerhin muss sich seit 150 Jahren jede Politikergeneration mit zumindest einer kleineren Finanzkrise auseinandersetzen; gut alle dreißig Jahre erschüttert eine wirklich große Krise Wirtschaft und Gesellschaft - das war 1857 der Fall, dann 1873, 1907, 1929-31, 1973 und schließlich die Jahre seit 2008.

Die Zerstörungskraft des Finanzsektors ist dabei keineswegs naturgegeben. Immerhin stand zu Beginn des modernen Finanzsystems der Wunsch, Regierungen stabiler zu machen, indem Banken und Finanzmärkte öffentliche Verschuldung ermöglichen. Dadurch sollen Investitionen in Infrastruktur und Sicherheit zu günstigen Refinanzierungskosten gewährleistet werden.

Spätestens 1934 stand aber fest, dass es andersherum läuft: Entstanden ist ein Finanzsystem, in dem die Staaten dafür sorgen, dass die Banken stabil sind. Ausgerechnet im Herzen des Kapitalismus findet sich, wie die Zeitschrift "The Economist" kürzlich formulierte, eine den Markt verzerrende Subventionierung. Mit der nun auf EU-Ebene beschlossenen Bankenunion ist ein erster Schritt getan, die fatale Verbindung von Staaten und Großbanken zu lösen.

Politik hinkt Wirtschaft hoffnungslos hinterher

Bis es so weit ist, lohnt jedoch ein Blick auf das Handeln der Politik. Das regelmäßige Auftreten kleiner und größerer Krisen hat nicht verhindert, dass Regierungen jeglicher Couleur ein ums andere Mal von den Ereignissen überrollt werden. Dabei müssten doch die Erfahrungen aus der Vergangenheit auch das Wissen über Ursachen, mögliche Folgen und allfällige Lösungsansätze erhöhen.

Müsste, denn für den Wirtschaftshistoriker Dieter Stiefel ist ein solcher Lerneffekt der Politik Illusion: "Innovationen finden in unseren Gesellschaften nicht in Verwaltung oder Politik statt, sondern in privaten, gewinnorientierten Unternehmen." Diese führe zu einem kontinuierlichen Wissensvorsprung der Wirtschaft im Vergleich zur Politik. In Österreich werde dieses Problem noch durch die politische Kultur verstärkt: In den USA sei ein Wechsel von Spitzenkräften zwischen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft gang und gäbe, während hierzulande kaum Austausch zwischen Universitäten und Politik stattfinde.

Angesichts dieser fehlenden Lernkurve verwundert es nicht, dass die Mehrheit der Finanzkrisen - trotz aller Unterschiede im Detail - nach einem ähnlichen Muster verläuft. Stiefel beschreibt dies wie folgt: Zunächst beflügelt ein Boom die Renditefantasien; sodann gelingt es der Politik nicht, den heiß laufenden Märkten Einhalt zu gebieten, woraufhin die Blase platzt. Erst jetzt beginnt die Politik zu reagieren, wobei sie dazu tendiert, die Probleme zu unterschätzen; rasch merken Regierungen auch ihre engen nationalen Handlungsspielräume angesichts transnationaler, wenn nicht gar globaler Probleme. Nun startet auch die Suche nach den Schuldigen. Schließlich macht sich der Überlebenstrieb der Politik bemerkbar, indem Regierungen nach Möglichkeiten fahnden, die Kosten für die Steuerzahler zu behübschen, etwa durch populäre Gegenmaßnahmen. In den 1930ern, als der Zusammenbruch der Creditanstalt ganz Mitteleuropa bedrohte, waren dies die Kontrolle internationaler Finanztransfers und die Abgabe ausländischer Beteiligungen inländischer Banken; heute, so Stiefel, entspricht dem der Ruf nach Finanztransaktions- und Reichensteuern.

Dieser abstrahierte Ablauf macht deutlich, dass Regierungen in Finanzkrisen nie das Steuer in der Hand haben, ihnen bleibt nur die Rolle des Beifahrers, der reagieren, aber nicht regieren kann.

Die Politik ist mit ihrem mangelnden Lernfaktor aber nicht allein, auch die Masse der Anleger agiert verlässlich kontraproduktiv. Renditen von jenseits zehn Prozent, wie sie in Boomphasen vor dem Platzen einer Blase nicht selten sind, sollten eigentlich die Alarmglocken schrillen lassen. Doch statt Vorsicht walten zu lassen, siegt die Gier. "Seit 1815 betrug das durchschnittliche Wirtschaftswachstum Österreichs rund 1,8 Prozent, das ist dauerhaft durch Produktivitätsgewinne machbar", erläutert Wirtschaftshistoriker Stiefel; "alles darunter und darüber ist zeitlich begrenzt und verlockt nur zu Spielereien." Wer sich dies vor Augen hält, der sollte bei Renditen um zehn Prozent eigentlich die Flucht ergreifen. Tut aber fast niemand, zumindest nicht rechtzeitig.

Hypo-Management im Lichte der Geschichte

Wie ein roter Faden zieht sich auch der erste Reflex der Politik durch die Geschichte der Finanzkrisen: Sparen und die Entschuldung betroffener Unternehmen. Ist Sparen rational? "Individuell ja", erwidert Stiefel. Bei Staaten ist das weniger klar: Ohne Inflation entwickeln Schulden eine teuflische Dynamik. Zudem stehe außer Zweifel, dass es eine Obergrenze für öffentliche Schulden gebe, abhängig von der Leistungsfähigkeit einer Wirtschaft.

Wie ist nun das Handeln der österreichischen Regierung bei der Hypo Alpe Adria im historischen Vergleich zu bewerten? Beim Börsenkrach 1873 entschloss sich die damalige liberale Wiener Reichsregierung, den Markt die Aufräumarbeiten zu lassen, so Stiefel. Niemand trat zur großen Bankenrettung an, sie wurden schlicht der Pleite überlassen. Der Liberalismus zahlte für diese Konsequenz (und seine Haltung in der Nationalitätenfrage) einen hohen Preis: Bis heute fristet er als eigenständige politische Bewegung ein Schattendasein in Österreich.

1931, beim Crash der Credit-anstalt, damals eine der größten Banken Mitteleuropas, versuchte die christlichsoziale Regierung die Bank zu retten. Von den ausländischen Gläubigern der CA wurde sie unter Druck gesetzt, auch deren Risiko abzufangen. Der Zeitdruck damals war, wie später auch 2009 bei der Hypo, enorm, die Regierung Ende hatte nur drei Tage Zeit, ein staatliches Rettungspakt für die Bank zu schnüren.

Und wie im Dezember 2009 bei der überfallsartigen Verstaatlichung der Hypo - Stiefel bezeichnet dieses Vorgehen als "fahrlässig" - gab es auch 1931 keine verlässlichen Informationen über den tatsächlichen Zustand der Bank. Damals entsprach die Summe der Bankenhilfe 50 Prozent des Budgets, "eine volkswirtschaftliche Katastrophe ungeahnten Ausmaßes", so Fischer, da kein Geld mehr für Bildung und Soziales vorhanden war. Erst später kam es zur Errichtung einer Bad Bank mit Sitz in Monaco und einer Einigung mit den ausländischen Gläubigern.

Zwei große Unterschiede gibt es allerdings zwischen 1931 und 2009: Zum einen ist von einem Wohlstandsverlust als Folge der Schulden- und Bankenkrise in Österreichs fast nichts zu spüren. Zum anderen hatte die Regierung vor mehr als 80 Jahren keine Chance, Entscheidungen über den Abbau der Bank auf die lange Bank zu schieben. Nach der Notverstaatlichung der Hypo im Dezember 2009 beginnen aber erst jetzt, viereinhalb Jahre später, die wirklichen Aufräumarbeiten.

Immerhin einen Erfolg können SPÖ und ÖVP für sich verbuchen: Gemeinhin werden Regierungen nach Finanzkrisen in die Wüste geschickt. Werner Faymann und Michael Spindelegger bilden die große Ausnahme. Außer, die Wähler machen es wie die Regierung und nehmen sich für ein endgültiges Urteil Zeit bis 2018.

Zur Person
Dieter F. Stiefel: Der gebürtige Linzer, Jahrgang 1946, studierte an der Hochschule für Welthandel in Wien und habilitierte sich mit einer Arbeit über die Folgen der Großen Depression der 1930er Jahre in Österreich. Stiefel ist emeritierter Professor am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Uni Wien.