Zum Hauptinhalt springen

Lernen von den Besten

Von Monika Jonasch

Wirtschaft

Anlässlich der weltweiten Wirtschaftsflaute und des nur sehr zögerlichen Aufschwunges suchen Wissenschafter derzeit intensiv nach Erfolgsrezepten für Wachstum und Stabilität. Dabei stechen ihnen vor allem zwei Regionen ins Auge: Nordamerika, bzw. die USA, und Skandinavien. Nicht, dass nicht auch diese Länder ihre Krisen durchgestanden hätten - oder dies sogar noch müssen. Allerdings erholen sie sich augenscheinlich schneller und haben aus ihren Fehlern gelernt.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 19 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

"Die skandinavischen Länder Finnland, Schweden und Dänemark sind, was wirtschaftliche Performance betrifft, die Top 3 Länder in Europa. Alle drei weisen bestimmte gemeinsame Charakteristiken auf. So sind sie nicht nur kleine, nordische Länder, sondern klassische 'Wohlfahrtsstaaten', die sich in den 1980ern oder 1990ern einer großen Krise gegenüber sahen. Sie haben es jedoch geschafft ihre Kosten mit den Einnahmen in Einklang zu bringen, ihr System zu reformieren und in die Zukunft zu investieren", erläuterte Karl Aiginger vom Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo) im Rahmen eines Vortrages beim Symposium "Economic Challenges of the 21st Century" in der Diplomatischen Akademie in Wien.

Auffallend sei in allen drei Fällen auch, dass die nordischen Länder genauso viel oder mehr als die USA in Forschung und Entwicklung, Informations- und Kommunikationstechnologien (ITK) und den Bildungsbereich investiert hätten. Dies wirke sich laut Aiginger direkt auf das Wachstum des Bruttoinlandsproduktes (BIP) aus: Hier liegen die europäischen Top 3 fast gleichauf mit den USA.

Die großen EU-Staaten wie Deutschland und Frankreich fallen hingegen gleichzeitig immer weiter zurück. Die "Big 3", wie sie Aiginger nennt, hätten es nämlich verabsäumt in Wachstumsträger zu investieren.

Paradoxer nordischer Erfolg

"Der Wirtschaftserfolg von Schweden, Finnland und Dänemark widerspricht aber den neoliberalen Forderungen. So zeichnen sich alle drei Staaten durch hohe Steuern, das Beibehalten des Wohlfahrtsstaates, Umweltpolitik und einen großen öffentlichen Verwaltungsapparat aus," meint Aiginger. Damit widersprächen sie der Annahme, dass all diese Faktoren das Wirtschaftswachstum bremsen würden.

Die Lösung dieses, nur oberflächlichen, Paradoxons findet sich laut Aiginger in den politischen Strategien der Skandinavier. So hätten die Top 3 ihren Arbeitsmarkt reformiert, indem sie Arbeitslose zwar bei der Jobsuche unterstützen, ihnen aber auch gleichzeitig mit Entzug der finanziellen Unterstützung drohen, falls sie sich unwillig zeigen, neue Jobs anzunehmen. Sie fördern das Entstehen neuer Firmen und den Weg in die Selbstständigkeit und schaffen so neue Arbeitsplätze. Flexibilität wird in Skandinavien von Unternehmen als Strategie angesehen, von Arbeitnehmern als Recht.

Wirtschaftspolitisch haben sich die nordischen Länder auf wirtschaftliche Wachstumstreiber wie die Informationstechnologien konzentriert. Gleichzeitig investierten sie in Forschung und Entwicklung, schafften es, Industrie und Universitäten einander näher zu bringen, Start-up-Firmen und Venture Capital lösten verstaatlichte Unternehmen und Subventionen ab.

"Besonders überraschend ist auch, dass diese Länder darüber hinaus ihre ökologische Verantwortung sehr ernst nehmen", hat Aiginger beobachtet. So sei Dänemark, was Energieverbrauch und CO2-Ausstoß betreffe, führend in ganz Europa. Schweden und Finnland andererseits gelang es, viele Umweltprobleme durch den Übergang von der industriellen Produktion zur wissensbasierenden Gesellschaft in den Griff zu bekommen. "Umweltpolitik ist also nicht unbedingt ein Widerspruch zu Wirtschaftswachstum", folgert der Wifo-Wissenschafter.

Wem gehört die Zukunft - der EU oder den USA?

Ob die EU den Vorsprung der USA aus den 1990er Jahren in absehbarer Zeit wieder einholen könne, wollte Aiginger zwar nicht direkt beantworten. Er strich jedoch ein paar Faktoren heraus, die durchaus zum europäischen Erfolg beitragen könnten.

So hätten die EU-Staaten ihr Defizit besser im Griff als die USA. Die gemeinsame Währung Euro hätte die finanziellen Transaktionskosten reduziert. Außerdem setze die EU auf Qualitätsprodukte sowie die Arbeitsteilung zwischen alten und neuen EU-Mitgliedern. Mit dem gegenwärtigen Kurs von Sozialreformen sowie dem Willen zu Einsparungen sei die EU auf dem richtigen Weg. "Außerdem hat sich gezeigt, dass Europa immer besser ist bei der Verbreitung von Technologien als in deren Startphase" meint Aiginger.

Gleichzeitig unterliegen auch die USA einigen Bremsfaktoren wie dem gegenwärtigen Budgetdefizit zwischen 5 und 6% des Bruttoinlandsproduktes. Außerdem fließen dort seit den Anschlägen vom 11. September und dem Irakkrieg viele Mittel in Sicherheitsbelange. Auch die augenscheinliche Führung der USA im Bereich Biotechnologie sei nicht erdrückend, meint Aiginger, hätte Europa doch hier seine Führung in der Telekommunikation entgegenzusetzen, die weit ausgeprägter sei.

"Eine Trendumkehr lässt sich schwer vorhersagen, kann doch das Zusammenspiel vieler verschiedener Faktoren nicht genau prognostiziert werden," meint Aiginger abschließend. Allerdings zeichne sich ab, dass sich der Vorsprung der USA angesichts der europäischen Anstrengungen verringern könnte, verströmt er vorsichtigen Optimismus.