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Langsam müsste eigentlich eine Sicherungsvorkehrung aktiviert worden sein. Zumindest bei den bedächtigeren Medien. Zum Schutz vor überbordendem Optimismus und vorzeitiger Heiligsprechung von frischgekürten Politikern. Die Liste von Politikern (und Politikerinnen), die als Tiger lossprinten, aber als Bettvorleger landen, wird von Jahr zu Jahr länger.
Emmanuel Macron, Frankreichs Präsident in tiefer Bredouille, sticht aus der Reihe der vorschnell in den Himmel gehobenen Erlöserfiguren, zu denen unter anderen auch Martin Schulz und Christian Kern zählen, trotzdem hervor. Sein Sieg in der Stichwahl 2017 gegen Marine Le Pen wurde weithin als Wendepunkt gefeiert. Dabei hätte die vernichtend niedrige Wahlbeteiligung von knapp mehr als
40 Prozent bei der Parlamentswahl ein Warnzeichen sein müssen: Die absolute Mehrheit für die neue Bewegung des Präsidenten stützt sich auf die Stimmen von nicht einmal einem Viertel der Wahlberechtigten.
Das ist ein prekäres demokratisches Fundament, um sich als neuer Sonnengott der Grande Nation zu inszenieren. Zu prekär, wie die Wutwelle in Gelb zeigt, die seit Wochen weite Teile Frankreichs überrollt und Macron völlig unvorbereitet getroffen hat. Demut wäre das weitaus bessere Konzept gewesen. Aber hinterher sind natürlich immer alle schlauer.
Macrons sich nun abzeichnendes innenpolitisches Scheitern (sein europapolitisches hat andere Gründe) hält trotzdem einige wertvolle Lektionen für die europäische Politik bereit. Die erste und wichtigste lautet: Geschickte Politiker können an der Spitze neuer Bewegungen Wahlen gewinnen; sehr viel unwahrscheinlicher ist es jedoch, dass sie auf diese Weise auch Politik gestalten können.
Macrons "La République en Marche" ist eine von oben herab via Neue Medien gesteuerte Adhoc-Koalition ohne jede tiefere Verankerung bei den Bürgern, wie sie gewachsene politische Parteien oder auch Gewerkschaften aufweisen. Physische Anwesenheit, auch Angreifbarkeit, an den Stammtischen der Nation kann auch in der Politik des 21. Jahrhundert gar nicht überschätzt werden.
Von daher zeigt sich einmal mehr, dass die Idee der klassischen politischen Parteien in Europa noch längst nicht abgeschlossen ist. Das macht deren grundsätzliche Erneuerung zu einem umso wichtigeren Projekt.
Mit aus dem Nichts geschaffenen Bewegungen ist auf Dauer keine Politik zu machen. Das sollte auch all jenen zu denken geben, die mit Blick auf die im Mai anstehenden EU-Wahlen die Rettung der Union von zusammengewürfelten Politikbündnissen erwarten. Nicht auszuschließen, dass sie mehr Scherben hinterlassen, als sie vorgefunden haben.