Der tschechische Dramatiker Pavel Kohout, seit 1980 österreichischer Staatsbürger mit Wohnsitz in Wien, ist nach seinem Ausschluss aus der kommunistischen Partei der CSSR in Österreich freundlich aufgenommen worden. Irgendwie erscheint es befremdlich, wenn er jetzt, im ansehnlichen Alter von 81 Jahren, den Bewohnern seines Gastgeberlandes Pauschalurteile gegen die Tschechen vorwirft. Denn damit lässt er sich selbst zu einem Pauschalurteil hinreißen.
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Von seiner besonderen Position abgesehen, muss ich seine Aussage aber leider doch bestätigen. Aus beruflichen Gründen bin ich mit unserem Nachbarland seit mehr als drei Jahrzehnten in intensivem Kontakt. Mir erscheinen die Beziehungen zwischen unseren beiden Völkern geradezu schicksalhaft eng verbunden. Aus dieser geographischen und auch historischen Nähe ergeben sich zwangsweise auch Reibereien und Eifersüchteleien.
Anstrengungen müssten wohl beide Seiten machen, um diese kindische Rivalität zu überwinden zu Gunsten einer Ausnützung der vielen Gemeinsamkeiten. Immerhin sind mehr als 200.000 tschechische Einwanderer in der Gründerzeit in Wien sesshaft geworden. Die vornehmlich im 10. Bezirk ansässigen Nachkommen dieser Einwanderer sprechen heute selbst kein Tschechisch mehr. Ihre Namen verraten aber ihre Herkunft.
Ich frage mich seit langem, worin die trotz allem unleugbare gegenseitige Abneigung ihre Wurzeln haben könnte. Ein Schlüsselkriterium scheint mir in der tschechischen Sprache zu liegen. Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch, ja selbst Russisch werden in unseren Schulen unterrichtet. Aber Tschechisch? Sprachunkenntnis schafft eine schier unüberwindliche Barriere.
Historisch gesehen, haben wir Österreicher mehr Bringschuld zur Verbesserung unserer nachbarlichen Beziehungen als die Tschechen. Denn unsere gemeinsame Geschichte war jahrhundertelang von einer Dominanz der deutschsprachigen Bewohner des gemischt-sprachigen Gebiete Böhmens, Schlesiens und Mährens gegenüber den tschechisch-sprachigen gekennzeichnet. Die herrische Behandlung der Brüder tschechischer Abstammung kulminierte in der deutschen Besetzung während der Naziherrschaft und endete erst 1945. Nach dem Zweiten Weltkrieg wendete sich das Blatt, wieder mit hässlichen Auswüchsen.
Mit der Aufarbeitung der Vergangenheit, vornehmlich der dunklen Flecken der eigenen Geschichte, tun sich alle Völker schwer. Ein Neuanfang ist daher nötig. Wer sich - wie ich - dazu durchringt, die tschechische Sprache zu erlernen, macht erstaunliche Erfahrungen. Plötzlich öffnet sich eine neue Welt mit großartigen Zeugnissen einer vordem fast unbekannten, reichen Kultur. In Abwandlung eines Kreisky-Zitates möchte ich meinen Mitbürgern zurufen: Lernens Tschechisch!
Helge Schöner war 33 Jahre lang offizieller Vertreter Österreichs in Arbeitsgruppen im internationalen Handel (Efta, EU, UNO).