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Lernt Geschichte!

Von Ingrid Thurner

Gastkommentare
Ingrid Thurner ist Lehrbeauftragte am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie und Mitglied der Teilnehmenden Medienbeobachtung (www.univie.ac.at/tmb) an der Universität Wien.

Der Islam ist nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung.


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Verfolgt man die Berichterstattung der vergangenen Jahre zum Thema Islam und Terrorismus, so kann man ein bestimmtes Muster feststellen: Die einen, eher Rechtsgerichteten, erklären, der Islam begünstige Gewalt und Terror. Sie begründen dies mit Zitaten aus dem Koran und den Hadithen.

Die anderen widersprechen und behaupten, der Islam sei eine Religion des Friedens und perfekt mit Demokratie vereinbar, wenn der menschliche und der politische Wille gegeben seien. Auch dieser Standpunkt wird mit Textstellen aus den heiligen Schriften untermauert, ihn vertritt auch die Teilnehmende Medienbeobachtung in vielen Kommentaren.

Zur Verwirrung trägt bei, dass Muslime, so sie sich öffentlich äußern, ebenfalls diesen beiden Fraktionen zuzuordnen sind, Gläubige ebenso wie Abgefallene, Konvertierte, Imame, Geistliche, Islamverbände, desgleichen Professionelle aus Islamwissenschaft, Arabistik, Politologie, Kultur- und Sozialanthropologie; außerdem Bischöfe, Päpste, Staatsoberhäupter. Es scheint, als ob kaum jemand keine Meinung zum Thema habe.

Die beiden Gruppen beäugen einander unversöhnlich, dazwischen stehen Medien. Abgesehen von gewissen Boulevardblättern, die im Bund mit rechtslastigen Parteien das Gewaltpotenzial des Islam regelmäßig hervorkehren, beschreiten jene, die sich zur politischen Unabhängigkeit bekennen, anscheinend einen Weg der Mitte, indem sie beiden Lagern immer wieder eine Plattform bieten.

Was also nun, mögen sich interessierte Laien angesichts dessen genervt fragen, begünstigt der Islam nun die Gewalt oder bekämpft er sie?

Aus der Debatte kann man nur einen Schluss ziehen: beides. Den heiligen Schriften wird entnommen, was gerade die Argumentation zu unterstützen vermag. Zwar würden Theologie und Islamwissenschaft heftig widersprechen und willkürliche Deutungen ablehnen, die bloß dem anstehenden Gutdünken dienen. Dennoch wird genau das getan: Für jede vorgefasste Ansicht findet sich ein Beleg, wenn man nur lange genug sucht.

Stattdessen könnte man einmal andere Ursachen für die Gewalt suchen, die in islamischen Ländern und/oder im Namen Allahs begangen wird. Es bieten sich dafür an: die Geschichte, die politischen Machtinteressen, die Gier nach Ressourcen.

In der Kurzfassung: Der Nahe Osten war Teil des Osmanischen Reiches, bevor er nach dessen Zerschlagung nach dem Ersten Weltkrieg von den damaligen Weltmächten England und Frankreich in deren Einflusssphären aufgeteilt wurde (Sykes-Picot-Abkommen 1916, Balfour-Deklaration 1917).

Politisch geht es darum, wer in Hinkunft in der Region die Vorherrschaft ausüben wird: Saudi-Arabien, die Türkei oder der Iran. Weiters speisen die dort vorhandenen Bodenschätze die große Gier nach Ressourcen.

Mit der Religion hat all dies nichts zu tun. Aber wenn alle Interessengruppen den Islam dazu benutzen, ihre jeweilige Position zu festigen und ihr gleichsam eine religiöse Legitimierung zu verschaffen, dann können auch die demokratischen, gemäßigten, säkularen und laizistischen Kräfte die Basis für ihr Tun im Koran finden.