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Lesen oder Fernsehen?

Von Hermann Schlösser

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"Hat die Literatur ausgedient?" Dieser besorgten Frage begegnete man häufig in Zeitschriften der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Hermann Hesse, Heinrich Mann, Robert Musil und andere zeigten sich schon damals beunruhigt darüber, dass Sportler und Filmschauspieler so viel mehr öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zogen als Schriftsteller.

Was sich in der Zwischenkriegszeit erst ankündigte, ist mittlerweile Wirklichkeit geworden: Schriftsteller, Literaten, Dichter spielen in der Welt der medial organisierten Öffentlichkeit nur mehr eine Nebenrolle. Im Zentrum des Interesses steht die Fernsehprominenz: Thomas Gottschalk versucht mit Hilfe seiner Sendung "Wetten, dass . . .?" einen Auftritt im Deutschen Bundestag zu erreichen, Dieter Bohlen wird vom Männermagazin "Gentleman's Quarterly" zum "Mann des Jahres" gewählt. Das sind die Ereignisse, die der Fernsehwelt zu denken geben - und nicht der neue Roman von Siegfried Lenz oder der neue Prosaband von Friederike Mayröcker.

Einen Trost jedoch kann man den Literaten lassen: Ihre Produkte sind haltbar. Die Texte von Hesse, Mann oder Musil kann man noch immer lesen, während man sich der Namen der Filmsternchen oder Boxmeister von einst kaum noch erinnert. Und warum sollte es Dieter Bohlen und Thomas Gottschalk anders ergehen? Wer sein Ansehen einem schnelllebigen Medium verdankt, wird auch schnell vergessen sein. Bücher hingegen können nachhaltige Wirkungen entfalten - vorausgesetzt, sie finden ihre Leser.