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Letzte Chance für die Spekulationssteuer

Von Margit Schratzenstaller

Gastkommentare
Margit Schratzenstaller ist stellvertretende Leiterin des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo), Expertin im Fiskalrat, Mitglied im Kuratorium des Europäischen Forum Alpbach und Lehrbeauftragte an der Universität Wien. Derzeit ist sie Partnerin im EU-Projekt "FairTax" zu den Grundlagen nachhaltiger Abgabensysteme in der EU. Foto: privat

Eine Finanztransaktionssteuer ist prinzipiell sehr gut geeignet, einen Finanzierungs- mit einem Lenkungszweck zu verbinden.


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Erneut hat sich vorige Woche die Gruppe der EU-Länder, die unter dem Vorsitz des österreichischen Finanzministers Hans Jörg Schelling eine Finanztransaktionssteuer einführen wollen, ergebnislos vertagt: mit einer letzten Frist für eine endgültige Einigung bis Mai. Bereits 2011 hatte die EU-Kommission eine EU-weite, breit basierte Finanztransaktionssteuer vorgeschlagen. Mit 0,1 Prozent auf Aktien- und Anleihenumsätze und 0,01 Prozent auf den Derivatehandel sollten 57 Milliarden Euro jährlich eingenommen werden. Die Steuer sollte den Finanzsektor stabilisieren und einen angemessenen Beitrag der Finanzinstitutionen zu den Kosten der jüngsten Krise sicherstellen. Inzwischen hat sich nach jahrelangen erfolglosen Verhandlungen die "Koalition der Willigen" auf zehn EU-Länder reduziert, darunter Österreich, Deutschland, Frankreich und Italien.

Das Konzept einer allgemeinen Finanztransaktionssteuer hat mit der jüngsten Finanzkrise enorm an Einfluss gewonnen. Gegenüber spezifischen Transaktionssteuern hat sie erstens den Vorteil, dass sie sämtliche Finanztransaktionen besteuert und somit Ausweichreaktionen von besteuerten auf nicht-besteuerte Transaktionen verhindert. Zweitens lässt die sehr breite Bemessungsgrundlage auch bei einem geringfügigen Steuersatz beträchtliche Einnahmen erwarten. Ein solcher sehr geringer Steuersatz würde sehr kurzfristige spekulative und potenziell destabilisierende Transaktionen unrentabel machen und daher effektiv unterbinden. Längerfristig angelegte und an realwirtschaftliche Tatbestände anknüpfende Transaktionen - etwa Devisentransaktionen zur Finanzierung von ausländischen Direktinvestitionen oder langfristige Veranlagungen von Pensionsfonds - würden dagegen kaum beeinträchtigt. Eine Finanztransaktionssteuer ist daher prinzipiell sehr gut geeignet, einen Finanzierungs- mit einem Lenkungszweck zu verbinden.

Derzeit besteuern zehn EU-Länder Finanztransaktionen. Im Wesentlichen sind davon bestimmte Wertpapiertransaktionen betroffen. Mit Sätzen zwischen 0,01 Prozent und 5 Prozent erbringen sie relativ geringe Einnahmen: In Italien und Frankreich sind es 0,03 beziehungsweise 0,04 Prozent, in Großbritannien und Malta immerhin 0,74 beziehungsweise 0,89 Prozent. Zugleich stehen sie vielfach als Wettbewerbsnachteil in international integrierten Finanzmärkten in der Kritik. Seit Ende der 1980er Jahre haben daher neun EU-Länder ihre Börsenumsatzsteuer abgeschafft. Bei kaum einer Steuer treten die Grenzen einer unkoordinierten unilateralen Erhebung im nationalen Alleingang so offensichtlich zutage wie bei jener auf Finanztransaktionen: Zu mobil ist ein Großteil der Finanztransaktionen, insbesondere solche derivativer Natur.

Wohin mit den Einnahmen?

Viele in der Entwicklungsfinanzierung aktive Nichtregierungsorganisationen propagieren die Steuer seit langem auch als Instrument zur Erzielung von Einnahmen für die Entwicklungszusammenarbeit. Die Initiative der "Koalition der Willigen" sieht hingegen vor, dass die Einnahmen in die nationalen Budgets fließen und für den Schuldenabbau und/ oder die Senkung anderer Steuern verwendet werden. Viel naheliegender ist es allerdings, die Einnahmen zur Finanzierung einer supranationalen Körperschaft zu verwenden: Denn die Einnahmen können einzelnen Ländern kaum eindeutig zugeordnet werden. Das liegt an der grenzüberschreitenden Natur der besteuerten Finanztransaktionen und ihrer potenziellen negativen externen Effekte, aber auch der Nutzung der besteuerten Finanzplätze auch durch nicht-gebietsansässige Akteure. Zudem wären die Steuereinnahmen ohne eine koordinierte Aktion nicht oder nur in wesentlich geringerer Höhe erzielbar. Einer solchen internationalen Verwendung entspricht der ursprüngliche Vorschlag der EU-Kommission, wonach die Einnahmen einen Teil der Eigenmittel zur Finanzierung des EU-Budgets ersetzen sollten.

Die Finanztransaktionssteuer wäre ein guter Kandidat für eine in unserem EU-Projekt "FairTax" vorgeschlagene Reform des EU-Eigenmittelsystems, die auf nachhaltigkeitsorientierte steuerbasierte Eigenmittel setzt. Sie würde eine Senkung der nationalen EU-Beiträge ermöglichen und gäbe somit den EU-Ländern Spielräume für die Senkung wachstums- und beschäftigungsschädlicher Abgaben, wie etwa jene auf die Arbeit. Daher wird sie auch im soeben veröffentlichten Abschlussbericht der von Italiens Ex-Premier Mario Monti koordinierten interinstitutionellen Expertengruppe als eine Option für eine steuerbasierte Eigenmittelquelle genannt. Eine Einführung in der "Koalition der Willigen" wäre ein bedeutender Schritt hin zu einer schrittweisen Ausweitung auf weitere EU-Länder in Form von konzentrischen Kreisen.

Als ein Grund für die sich hinziehenden Verhandlungen wurde jüngst öfter der bevorstehende Brexit kolportiert. Die EU-Länder wären allerdings schlecht beraten, sich vom Brexit tatsächlich von der Finanztransaktionssteuer abbringen zu lassen. Sie vergäben eine historische Chance, würden sie auf die integrative Kraft dieses auch symbolisch wichtigen Steuerprojektes verzichten - die angesichts des zunehmenden Euroskeptizismus so dringend benötigt wird.

Der vorliegende Gastkommentar ist die gekürzte Fassung eines Policy Briefs der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik.