Etwa 130 Notare sind bereit, eine Sterbeverfügung zu errichten. Eine Liste der aufklärenden Ärzte hat erst Wien.
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Bis kurz nach Mittag seien die Schmerzen noch erträglich, sagt Nikola Göttling. Danach nicht mehr. Dann könne sie nur noch im Bett liegen, kaum etwas machen - und warten, dass der nächste Tag mit seinem kleinen vormittäglichen Zeitfenster des Lebens anbricht.
Das ist der zweifachen Mutter und ausgebildeten Psychologin, die an Multipler Sklerose erkrankt ist und seit 2016 im Rollstuhl sitzt, aber zu wenig. Mit weiteren Beschwerdeführern zog sie daher vor den Verfassungsgerichtshof, focht die Strafbarkeit der Mitwirkung am Suizid an und hatte Erfolg: Seit 1. Jänner dieses Jahres ist die Mitwirkung am Suizid nicht mehr strafbar. Am selben Tag trat das Sterbeverfügungsgesetz in Kraft, das den rechtlichen Rahmen vorgibt und zum Beispiel eine schwere Krankheit oder unerträgliches Leiden als Voraussetzungen nennt. Der Weg zur Sterbehilfe war für Göttling damit aber noch immer nicht frei. Zuerst fand sie keine zwei Ärzte, die die für die Sterbeverfügung notwendigen Aufklärungsgespräche durchführen, und dann keinen Notar, der diese errichtet. Der Vorwurf, dass es bei einem De-facto-Sterbehilfeverbot bleiben könnte, stand im Raum.
Nun scheinen die letzten Hürden zur Sterbehilfe aber fast geschafft. Denn nach stetem Nachfragen war die Wiener Ärztekammer die erste, die Göttling eine namentliche Liste all jener Wiener Ärztinnen und Ärzte übermittelt hat, die eines der zwei Aufklärungsgespräche durchführen würden. Unter diesen, insgesamt 22, finden sich Allgemeinmediziner, Intensivmediziner, Psychiater, Internisten, ein Augenarzt und ein Orthopäde. Vier haben eine palliativmedizinische Qualifikation: ein ganz entscheidender Punkt, weil laut Sterbeverfügungsgesetz einer der zwei aufklärenden Ärzte über diese verfügen muss.
Die Wiener Ärztekammer ist bisher allerdings die einzige, die eine Liste wie diese erstellt hat. Überlegungen einer österreichweiten Liste gebe es zwar, heißt es dazu auf Nachfrage von der Österreichischen Ärztekammer, derzeit sei diese aber noch in Länderhand. Fix sei, dass es heuer unterschiedliche Veranstaltungen für Ärzte zur Sterbehilfe geben werde, um diese zu sensibilisieren und vor allem zu informieren - denn die Eckpunkte besagter Aufklärungsgespräche für die Sterbeverfügung etwa sind bis heute nicht definiert. Über diese arbeite man laut Ärztekammer gerade ein Formular aus, das ebenfalls im Laufe des Jahres für die Ärzte abrufbar sein soll.
Ärzte und Aufklärungsgespräche dürften somit keine unüberwindbaren Hürden mehr sein, und auch der nächste Schritt nicht: die Errichtung der Sterbeverfügung durch einen Notar oder Patientenvertreter. Denn wie ein Rundruf bei Notaren und die Nachfrage in der Notariatskammer zeigt, sind auch einige von diesen bereit, am Suizid mitzuwirken - unter gewissen Bedingungen.
"Bedingungen" der Notare
Grundsätzlich gebe es österreichweit "gut 130" Notarinnen und Notare, die eine Sterbeverfügung errichten würden, heißt es vonseiten der Kammer. Die Namensliste stelle man allerdings nicht online. Diese werde ausschließlich all jenen Suizidwilligen zur Verfügung gestellt, die sich an die Notariatskammer wenden.
Von einzelnen Notaren werden auch gewisse Bedenken laut, die sie in jedem Fall ausschließen wollen, bevor sie eine Sterbeverfügung errichten. Eine "Bedingung" wäre zum Beispiel, dass der oder die Suizidwillige nicht in dem Bezirk wohnt, in dem auch der Notar tätig ist. Dann nämlich könnte Letzterer vom zuständigen Bezirksgericht als Gerichtskommissär mit der Abwicklung des Nachlasses beauftragt werden. Hat er davor auch die Sterbeverfügung errichtet, könnte dadurch eine schiefe Optik entstehen, so die Befürchtung.
Eine weitere Vorsichtsmaßnahme wäre, die Sterbeverfügung nur mit schriftlicher Einwilligung der engsten Angehörigen zu errichten. Damit möchte man etwaigen späteren rechtlichen Konsequenzen durch Angehörige entgehen, die etwa meinen könnten, dass die Sterbeverfügung zu Unrecht errichtet worden sei.
Die Patientenanwaltschaft als zweite Möglichkeit, eine Sterbeverfügung errichten zu lassen, ist noch nicht ganz so weit. Derzeit arbeite eine eigens dafür eingerichtete Arbeitsgruppe aller Patientenanwaltschaften Österreichs die konkreten Umsetzungsschritte aus, heißt es auf Nachfrage. Vor allem auch die Frage der Finanzierung sei offen. Da es sich um ein Bundesgesetz handelt, sehe man die Finanzierung beim Bund, heißt es - um das zu klären, hätten bereits mehrere Gespräche mit dem Justiz- und Gesundheitsministerium stattgefunden.
Der Wiener Anwalt Wolfram Proksch, der Nikola Göttling und die weiteren Beschwerdeführer vor dem Verfassungsgerichtshof (VfGH) vertreten hatte, ist dennoch überzeugt, dass das Sterbeverfügungsgesetz in der Praxis österreichweit "nicht so funktionieren wird, wie es sollte". Daher werde er auch dieses "vor den VfGH bringen müssen", meint er zur "Wiener Zeitung".
Erneut vor das Höchstgericht
Selbst wenn Ärzte und Notare zur Mitwirkung am Suizid bereit sind, so sei allein die Tatsache, dass ein Suizidwilliger in der terminalen Phase sämtliche Namenslisten selbst organisieren und sich dadurch allein auf die Suche begeben müsse, nicht verfassungskonform. Zudem sei eine weitere Frage ungeklärt, sagt Proksch. Was passiert zum Beispiel mit dem tödlichen Medikament, wenn es zwar mithilfe der Sterbeverfügung von der Apotheke geholt wurde - der Betroffene es danach aber nicht einnimmt, "sondern aufs Nachtkastl stellt?"
Auch Göttling hat im Moment noch ihre erträglicheren Vormittage und sei noch kein 24-Stunden-Pflegefall, wie sie sagt. Es gehe ihr aber darum, selbst entscheiden zu können, wann sie stirbt.
Hilfe bei Suizidgedanken: www.suizid-praevention.gv.at
Mehr zum Thema finden Sie in unserem Dossier.