Für eine Einigung im griechischen Schuldenstreit bleibt den Verhandlungspartnern nur noch wenig Zeit.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Brüssel. Sie hätten genug andere Themen zu besprechen. Wenn die Staats- und Regierungschefs der EU am morgigen Donnerstag zu ihrem regulären Gipfeltreffen nach Brüssel kommen, stehen Beratungen auf ihrer Agenda, die sich alles andere als einfach gestalten. Nach welchem Verteilungsschlüssel sollen Flüchtlinge in den Mitgliedstaaten untergebracht werden? Wie lässt sich die Eurozone stärken? Wie eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik erreichen? Antworten auf diese Fragen gilt es zu suchen.
Doch einmal mehr wird das in den Hintergrund gedrängt durch einen Zwist, der schon so manche Zusammenkunft der Spitzenpolitiker überschattet hat. Der griechische Schuldenstreit wird nämlich auch diesmal Gegenstand der Diskussion. Dabei waren die Vertreter der Währungsgemeinschaft erst am Montag zu einem außerordentlichen Euro-Gipfel nach Brüssel gereist, der wiederum auf ein Sondertreffen der Finanzminister gefolgt ist. Von Euphorie oder einem Durchbruch in den Verhandlungen konnte nach den Sitzungen nicht die Rede sein - auch wenn in einigen Delegationskreisen betont wurde, dass die Regierung in Athen durchaus entgegenkommend sei.
Denn Griechenland hat eine Liste von Maßnahmen vorgelegt, die in den kommenden eineinhalb Jahren fast acht Milliarden Euro in die Staatskasse spülen sollen: knapp 2,7 Milliarden Euro heuer und 5,2 Milliarden Euro im kommenden Jahr. Das Paket sieht allerdings nicht so sehr Budgetkürzungen als Mehreinnehmen durch Steuererhöhungen vor.
So soll eine Sondersteuer für Unternehmensgewinne eingeführt werden, die 500.000 Euro übersteigen: Allein in diesem Jahr sollen die Einnahmen daraus fast eine Milliarde Euro betragen. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer soll 680 Millionen Euro heuer und 1,36 Milliarden Euro im kommenden Jahr bringen. Eine Reform des Pensionssystems sieht sowohl Kürzungen bei Frühpensionen als auch eine Erhöhung der Beiträge vor; dadurch will die Regierung heuer 500 Millionen Euro und 2016 an die 1,5 Milliarden Euro einnehmen.
Sondersitzung vor EU-Gipfel
Für die griechischen Bemühungen fanden die Staats- und Regierungschefs denn auch anerkennende Worte - mehr denn die Finanzminister. Von einem "guten Ausgangspunkt" sprach die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel. Der französische Präsident François Hollande ortete "Grundlagen" für eine Einigung. Die Verhandlungspartner seien auf dem richtigen Weg, befand der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann. Sie alle betonten aber gleichzeitig, dass noch viel Arbeit zu leisten sei.
Die Entscheidung über die Auszahlung der Hilfskredite treffen allerdings formell die Finanzminister der Eurozone. Sie kommen schon am heutigen Mittwochabend zu ihrer nächsten Sondersitzung zusammen. Und wenn sie einen Kompromiss zustande bringen, könnten die Gipfelteilnehmer das Ergebnis bereits wenige Stunden später absegnen.
So sieht zumindest der Idealfall aus. Jedoch gibt es zu ihm kaum Alternativen, die positiv sind. Ohne eine Verständigung mit den internationalen Gläubigern könnte Griechenland nämlich schon kommende Woche zahlungsunfähig sein. Denn das zweite Hilfsprogramm läuft Ende des Monats aus; die Regierung in Athen muss dann auch noch Kreditraten an den Internationalen Währungsfonds (IWF) in Höhe von 1,5 Milliarden Euro überweisen.
Zwischen Montag und dem Finanzminister-Treffen am heutigen Mittwoch blieb den Experten also denkbar wenig Zeit, um die griechischen Vorschläge zu prüfen. Denn das vorgelegte Programm muss noch von den Vertretern der drei Geldgeber-Institutionen EZB (Europäische Zentralbank), IWF und EU-Kommission bewertet werden. Deren Forderungen stimmen aber mittlerweile "in großen Zügen" mit den griechischen Plänen überein, erklärte der für den Euro zuständige EU-Kommissar Valdis Dombrovskis der Deutschen Presse-Agentur. Völlige Übereinstimmung gar gebe es bei den Zielen für den sogenannten Primärüberschuss, bei dem Zinszahlungen und Tilgungen ausgeblendet werden. Dieser Überschuss soll von einem Prozent der Wirtschaftsleistung heuer auf 3,5 Prozent im Jahr 2018 steigen.
Nothilfen erweitert
So schwang das Stimmungspendel am Tag vor der Ministersitzung wieder Richtung Optimismus - wenn auch äußerst vorsichtigem. Der französische Finanzminister Michel Sapin sah eine Chance auf eine "umfassende und nachhaltige" Lösung in den Gesprächen bis Ende der Woche. Sein irischer Amtskollege Michael Noonan erhöhte gleichzeitig den Druck, bis dahin zu einer Einigung zu gelangen. Ohne die könnten nämlich die Banken-Nothilfen auslaufen. Diese ELA genannten Notkredite gewährt die EZB den griechischen Geldhäusern schon seit Monaten. Dieses Instrument ist nicht unumstritten, doch würde die Zentralbank es nicht mehr einsetzen, könnten sich die Institute nicht mehr refinanzieren. Daher hat die EZB den Kreditrahmen bereits wieder erweitert. Laut der Nachrichtenagentur Reuters hat sie die Obergrenze für die Nothilfen um etwas weniger als eine Milliarde Euro erhöht.
Es gibt aber auch Warnungen vor übereilter Zuversicht. Die Reformpläne allein reichen nicht aus, befand Österreichs Finanzminister Hans Jörg Schelling. Athen müsste ebenfalls ein konkretes Programm vorlegen, wie und wann es die Maßnahmen umsetzen möchte. Schelling wandte sich dagegen, ein drittes Hilfspaket für Griechenland "durch die Hintertür" einzuführen.
Nicht ausgeschlossen erscheint daher zunächst einmal eine Verlängerung des laufenden Programms, wie dies bereits im Februar der Fall war. Wie viele Monate mehr Zeit Athen gewährt werden könnte, ist noch offen.
Eine Finanzhilfe für die kommenden Jahre stellte aber mittlerweile die EU-Kommission in Aussicht. Im Unionsbudget stünden bis 2020 rund 35 Milliarden Euro für Infrastruktur- und Agrar-Projekte zur Verfügung. Dafür, dass das Geld fließt, ist jedoch griechische Kofinanzierung nötig.