Zypern-Frage droht Beitrittgespräche zu torpedieren. | Einfluss der Armee und beschränkte Meinungsfreiheit. | Brüssel. Die Zeit für die Rettung der EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei wird knapp. Mit der kurzfristigen Absage eines Krisentreffens zur Zypern-Frage am Sonntag bleibt vor der Präsentation des Fortschrittsberichts der Europäischen Kommission am kommenden Mittwoch kaum mehr Spielraum für eine positive Wende. Die Gespräche drohen zu kollabieren. Denn der Bericht kritisiert Ankara hart.
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Weiterhin übe die Armee "einen wesentlichen politischen Einfluss aus", die Meinungs- und Pressefreiheit werde eingeschränkt, Folter finde noch immer statt, der türkische "Zugang zu Minderheitenrechten bleibe unverändert", und vor allem habe es "keine Fortschritte" bei der Normalisierung der Beziehungen zum EU-Mitglied Zypern gegeben, heißt es in dem der "Wiener Zeitung" vorliegenden Berichtsentwurf.
Die Union erwarte "die volle, nicht-diskriminierende Umsetzung des Zusatzprotokolls - Ausweitung der Zollunion auf alle EU-Staaten - und die Entfernung aller Hindernisse für den freien Warenverkehr". Dafür gaben die EU-Außenminister der Türkei bis Ende des Jahres Zeit. Da die Türkei weiterhin Schiffen unter zypriotischer Flagge den Zugang zu ihren Häfen verweigere, verstoße sie gegen das Zollunionsabkommen.
Ein besonderer Dorn im Auge ist der Kommission auch der Paragraph 301 des türkischen Strafgesetzes. Er stellt "Beleidigung des Türkentums" unter Strafe. Erst im Juli hatte das türkische Höchstgericht eine sechsmonatige Gefängnisstrafe für den armenisch-türkischen Journalisten Hrant Dink deshalb bestätigt.
Bedenkliches Gesetz
Das im Juni verschärfte Anti-Terror-Gesetz könne die Rede- und Pressefreiheit zusätzlich einschränken, heißt es in dem Entwurf. Der Begriff Terrorismus werde darin sehr weit gefasst. Schon "Propaganda" könne etwa zur Einstellung von Zeitungen führen. Darüber hinaus drohe das Gesetz den Kampf gegen Folter und Misshandlung zu untergraben. Die Zahl der Fälle werde aufgrund verstärkter Kontrollen zwar kleiner. Es blieben aber "Bedenken vor allem außerhalb von Strafanstalten, Menschenrechtsverletzungen im Südosten und das Problem der Straflosigkeit".
Und die Lage im Südosten der Türkei habe sich seit der Wiederaufnahme der Gewalt durch die von der EU als Terrororganisation eingestufte kurdische Arbeiterpartei PKK noch verschlechtert. Bei Ausschreitungen im März seien die Sicherheitskräfte mit "übertriebener und willkürlicher Gewalt sogar gegen Rettungsautos" vorgegangen. Zehn Zivilisten seien getötet worden, darunter drei Kinder. Mehr als 700 Menschen seien verhaftet, Fälle von Misshandlungen berichtet worden.
Immer wieder äußerten hochrangige Militärs darüber hinaus nachdrücklich ihre Meinung "zu innen- und außenpolitischen Themen inklusive Zypern, Säkularismus und Kurdenangelegenheiten". Weiterhin sei die Gendarmerie ein Teil der Armee und unterstehe dem Generalstab sowie dem Innenministerium. Unter gewissen Umständen dürfe das Militär eigenmächtig "Operationen für die Innere Sicherheit" ausführen.
Die möglichen Auswirkungen des Berichts werden mit Spannung erwartet. In einem gesonderten Dokument will die Kommission ihre Empfehlungen abgeben. Finnland, derzeit EU-Vorsitzland, hat unterdessen versprochen, intensiv weiterzuverhandeln, um den Kollaps der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei spätestens beim EU-Gipfel im Dezember noch zu verhindern.