Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 5 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Es gibt nicht viele europäische Politiker, denen es gelingt, in allen 28 EU-Staaten je eine Zeitung dazu zu bringen, einen Brief mit einer persönlichen Wahlkampfrede zu veröffentlichen. Emmanuel Macron ist so ein rarer Fall. Und Frankreichs Staatspräsident hat sich zum Ziel gesetzt, die kommenden Wahlen zum EU-Parlament persönlich zu nehmen. Dass er dabei nicht einmal zur Wahl steht, ja seine liberale Bewegung "La République en Marche" noch nicht einmal über einen Spitzenkandidaten verfügt stört niemanden? Alles nur Nebensächlichkeiten in einer Auseinandersetzung, in der es, folgt man Macron, ums Ganze geht.
Aus der Sicht eines Politikers, der 2017 angetreten ist, ein strauchelndes Frankreich zu erneuern, ist das sogar nachvollziehbar, hat es doch den Anschein, als will Macron immer wieder aufs Neue die gleiche politische Schlacht schlagen. Seinen Sieg in der Stichwahl um das Amt des französischen Staatspräsidenten gegen die Rechtspopulistin Marine Le Pen deutete er nicht nur als innenpolitische, sondern als europapolitische Weichenstellung. Entsprechend würde deshalb nun eine Niederlage seiner aus dem Nichts aus dem Boden gestampften Partei gegen Le Pens hart rechten bis rechtsextremen "Rassemblement National" nicht einfach nur als eine innenpolitische Schlappe eines in die Kritik geratenen Staatschefs interpretiert, wie sie bei solchen "Zwischenwahlen" fast Tradition hat.
Auf diese Weise gerät die EU-Wahl zur Schicksalswahl für "die Zukunft unseres Kontinents". In Österreich kennt man diese Strategie seit Jahren, wird doch seit den 1990ern jede Wien-Wahl zur Entscheidungsschlacht hochstilisiert, bei der die Kräfte des Lichts gegen die Finsternis ankämpfen. Wahlstrategisch kann das also ein durchaus probates Rezept der Mobilisierung werden, vor allem bei einer Wahl, bei der Sieg und Niederlage von der Motivation der eigenen Anhänger abhängen, wie dies bei EU-Wahlen der Fall ist.
Inhaltlich verschiebt Macron in seinem gekonnt verfassten Brief seine bisherige Prioritäten - Reform der Eurozone! - in Richtung eines Abwehrkampfs: gegen die inneren und äußeren Feinde der EU. Dazu zählt er neben Le Pen, Salvini, Orban und Strache sowohl die Hacker Wladimir Putins wie die US-Internetgiganten, Chinas Expansionismus wie unkontrollierte Migrationsströme.
Macron hat allerdings in seinen ersten beiden Amtsjahren erfahren müssen, dass es immer schon leichter war, zu fordern und Visionen zu entwerfen, als konkrete Politik zu machen. Zumindest sein persönliches Sendungsbewusstsein hat bisher nicht darunter gelitten. Dabei weiß er zweifellos längst selbst, dass er um seinen Einfluss in Europa hart kämpfen muss. Die EU kennt keinen Sonnenkönig.