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"Leute werden sagen, die ist narrisch geworden, die zahlt gern viel Steuern"

Von Stefan Janny

Reflexionen

Ederer unterstützt Vorschlag für Vermögenszuwachssteuer. | Manager könnten wegen hoher Gehälter "zu einem negativen Symbol" werden. | "Wiener Zeitung": Dass in einem Gespräch mit Ihnen das Wort Korruption fällt, wird Sie mittlerweile vermutlich nicht mehr verblüffen?


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Brigitte Ederer: Nein, darum finde ich es gut, wenn wir das gleich zu Beginn abhandeln, weil dann die Chance besteht, dass der Rest des Gesprächs entspannter verläuft.

Wie erklären Sie einem simplen Menschen die Tatsache, dass bei Siemens anscheinend mehr als eine Milliarde Euro an zweifelhaften Zahlungen geleistet wurde und das niemandem im Vorstand aufgefallen ist?

Das kann man nicht erklären, glaube ich. Aber es ist so. Die von den Medien berichtete Summe von rund 1,3 Milliarden Euro ist nicht zu erklären.

Ich würde meinen, dass in der Vergangenheit eine relativ kleine Gruppe schwerste Verfehlungen begangen und ein Netzwerk aufgebaut hat. Daraus ist ohne Zweifel schwerer Schaden entstanden.

Allein, dass ich bei jedem Gespräch auf dieses Thema angesprochen werde, zeigt schon den Schaden. Lassen Sie mich noch betonen, dass wir mittlerweile Maßnahmen gesetzt haben, die sicherstellen, dass wir im Bereich der Compliance Aktivitäten nun wahrscheinlich europaweit führend sind. Bei uns gibt es null Toleranz für solche Verfehlungen. Und ich weiß, dass wir gute Fortschritte bei der Aufarbeitung machen.

Diese kleine Gruppe von Managern, die diese Schmiergeldzahlungen mutmaßlich gesteuert hat, schließt die Ihrer Einschätzung nach den Vorstand von Siemens ein?

Das kann ich nicht beantworten. Ich habe keine konkreten Informationen und bin diesbezüglich Medienkonsumentin so wie Sie.

Das glaube ich Ihnen nicht.

Es ist aber im Großen und Ganzen so. Der Prüfungsausschuss der Siemens AG hat ja die US-Anwaltskanzlei Debevoise beauftragt, die Vorgänge der Vergangenheit zu prüfen, und wir werden nicht über den jeweiligen Stand der Ermittlungen informiert.

Wie beurteilen Sie im Lichte des nun Bekannten den ehemaligen Siemens-Chef Heinrich von Pierer?

Herr von Pierer hat sich große Verdienste um das Unternehmen erworben, das steht außer Zweifel. Ich finde, man sollte jetzt in Ruhe abwarten, was die Untersuchungen ergeben und sich dann ein Urteil bilden.

Die US-Wirtschaft steht vor einer Rezession, in Westeuropa schwächt sich das Wirtschaftswachstum deutlich ab. Was ist Ihre Prognose für die Konjunkturentwicklung in Zentral- und Osteuropa, eine Region, für deren größten Teil Sie im Siemens-Konzern die Verantwortung tragen?

Das ist schwer vorherzusagen. Ich mache mir große Sorgen um die US-Wirtschaft und die Auswirkungen auf die Weltwirtschaft. Ich habe den Eindruck, dass Teilsegmente unseres Portfolios wie Energie in den nächsten Jahren davon profitieren werden, dass nennenswerter Nachholbedarf bei Investitionen in diesem Bereich existiert. Ob das in anderen Bereichen ähnlich sein wird, kann ich derzeit nicht sagen. Im Moment spüren wir noch keinen Rückgang bei den Auftragseingängen.

Wie geht man als Chefin eines Unternehmens, das Waren und Dienstleistungen in Milliardenwert nach Osteuropa verkauft, mit der Tatsache um, dass man in einem Land ansässig ist, das den Menschen dieser Region weiterhin nicht gestattet, hier zu arbeiten?

Ich bin eine Verfechterin, dass Siemens einen Beitrag leistet, um dort funktionierende Volkswirtschaften aufzubauen. Ich würde es sehr erfreulich finden, wenn beispielsweise die Volkswirtschaft in Rumänien in 25, 30 Jahren ein mit Österreich vergleichbares Niveau erreicht hat.

Auf die Gefahr als Pessimist zu erscheinen: Ich fürchte, dass das möglicherweise länger dauern wird. Werden Sie von dortigen Politikern nicht gelegentlich auf das Thema der Übergangsregelungen angesprochen?

Ich bin von offiziellen Amtsträgern noch nie darauf angesprochen worden. Rumänien und Bulgarien haben beispielsweise eher das Problem, dass zu viele der ambitionierten Leute nach Österreich oder nach England oder in die USA auswandern. Außerdem bin ich der Meinung, Politik sollte nachvollziehbar sein, sollte sich überlegen, was sie will, und dann auch dabei bleiben. Wenn man sich für einen Zeitpunkt zur Öffnung des Arbeitsmarkts entschieden hat, dann sollte man den auch beibehalten.

Die österreichische Industrie beklagt gelegentlich den Mangel qualifizierter Facharbeiter im Lande.

Bei Siemens in Österreich haben wir kein Facharbeiterproblem: Wir bilden 700 Lehrlinge aus und haben Facharbeiter, die genau das können, was wir brauchen. Von manchen wurden wir deshalb in den vergangenen Jahren belächelt.

Wie beurteilen Sie die österreichische Bildungspolitik?

Ich glaube, dass die österreichische Bildungspolitik erheblichen Nachholbedarf hat. Eine moderne Industrie hat ganz andere Anforderungen an das Bildungssystem. Wir brauchen Menschen, bei denen die Neugier weiter vorhanden ist, die relativ offen auf die Welt zugehen, die bereit und in der Lage sind, ihre Potenziale auszuschöpfen.

Daher halte ich die politische Diskussion über die Gesamtschule für überholt. Es ist völlig wurscht, ob das Gesamtschule heißt oder nicht. Es geht darum, dass man alle Potenziale, die wir haben, ausschöpfen müssen. Und das tun wir im Moment nicht.

Die Bundesregierung diskutiert derzeit eine Steuerreform. Was halten Sie von den diversen Vorschlägen?

Ich halte das für eine spannende Diskussion, wie man Einkommen in diesem Land besteuert. Es ist logisch und konsequent, dass es Einkommen gibt, die gar nicht besteuert werden, das hat nichts mit meiner Parteizugehörigkeit zu tun. In den USA, denen man nicht gerade den gelebten Sozialismus vorwerfen kann, gibt es beispielsweise die Besteuerung von Vermögen. Es kann nicht sein, dass nur unselbständig Beschäftigte und Konsumenten die Steuerlast tragen. Das ist langfristig nicht akzeptabel.

Sie befürworten also eine Vermögenszuwachssteuer auf realisierte Gewinne aus Wertpapierinvestments?

Ja, denn irgendwo muss man, wenn man keine Vermögenssteuer und keine Erbschaftssteuer mehr hat, diese Gewinne besteuern.

Sie veröffentlichen Ihr Gehalt im Siemens-Geschäftsbericht nicht individuell, sondern nur die Summe aller Vorstandsbezüge, aber Ihr Einkommen wird wohl Ihrer Funktion durchaus angemessen sein. Wie stehen Sie zur Diskussion über die Senkung des Spitzensteuersatzes?

Ich habe mir nie träumen lassen, dass ich einmal so viel Geld verdienen werde. Ich glaube, dass der Spitzensteuersatz, so wie er ist, ganz in Ordnung ist. Nachdenken sollte man über die Sozialversicherungsbeiträge, die bei hohen Gehältern ja degressiv sind.

Das würden Sie ändern?

Die Leute werden sagen, die ist narrisch geworden, die zahlt gerne viel Steuern. Aber ich finde, wenn man viel verdient, sollte man auch Steuern zahlen.

Die Industriellenvereinigung fordert die Herabsetzung des Spitzensteuersatzes.

Die IV ist auch gegen die Vermögenszuwachssteuer. Sie haben aber die Brigitte Ederer gefragt.

Können Sie nachvollziehen, dass Managementgehälter ab einer gewissen Größenordnungen zum politischen Thema werden?

Ich glaube, dass meine Berufsgruppe aufpassen muss, dass sie nicht Ziel einer massiven Verärgerung und zu einem negativen Symbol wird.

Sie haben zum Antritt Ihrer derzeitigen Funktion gesagt, Sie scheuen sich nicht, die beträchtliche Macht, die eine solche Funktion mit sich bringt, auch einzusetzen .

Man braucht Macht, um Dinge gestalten zu können. Ich möchte Dinge gestalten.

Die meisten Manager bestreiten, über nennenswerte Macht zu verfügen und schon gar, sie auch einzusetzen.

Ich würde es heute vielleicht ein bisschen differenzierter formulieren. Ich empfinde schon auch die Last dieser Verantwortung auf meinen Schultern. Der Gestaltungsspielraum ist das Spannende. Die Verantwortung, die man für Mitarbeiter, Familien, Lebensschicksale trägt, das belastet mich manchmal. Das hat mich sicher auch etwas Lebensfreude gekostet.

Als ÖIAG-Aufsichtsrätin werden Sie sich demnächst vermutlich mit der Frage befassen, ob die Telekom Austria in eine Festnetz- und eine separate Mobilfunkgesellschaft geteilt werden soll.

Mein Zugang ist pragmatisch. Wenn ich ein Unternehmen an die Börse bringe, dann ist es der Logik des Kapitalmarkts unterworfen. Wenn die Logik des Kapitalmarkts eine solche Trennung nahe legt, dann muss man sich ernsthaft damit auseinandersetzen.

Was halten Sie von der Idee, eine sogenannte Beschäftigungsgesellschaft für überzählige Beamte bei Telekom und Post zu gründen?

Ich kann derzeit nicht beurteilen, ob eine solche Gesellschaft der richtige Weg ist. Bei meiner bisher einzigen ÖIAG-Aufsichtsratssitzung wurde das Thema nur kurz gestreift. In manchen Ländern wurde dieser Weg gewählt. Es spricht nichts dagegen, sich das genauer anzuschauen.

Brigitte Ederer wurde 1956 in Wien geboren, inskribierte Volkswirtschaft und war als Studentin in der wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung der AK tätig. 1983 wurde Ederer für die SPÖ als Abgeordnete in den Nationalrat gewählt, dem sie bis 1992 angehörte, als sie Staatssekretärin wurde. 1995 zog sie neuerlich in den Nationalrat ein und wurde SP-Bundesgeschäftsführerin. 1997 wechselte sie für drei Jahre als Finanzstadträtin in die Wiener Landespolitik. 2000 kam sie in den Vorstand der Siemens AG Österreich, seit 2005 ist sie Vorstandsvorsitzende.