Prag - Eine Gruppe von tschechischen Abgeordneten möchte dem Parlament in Prag einen ungewöhnlichen Gesetzesentwurf vorlegen: Die Verdienste des ehemaligen Präsidenten Edvard Benes sollen in Form eines eigens dafür geschaffenen Paragraphen in der tschechischen Rechtsordnung verankert werden. Eine Initiative, die von vielen in Österreich und Deutschland als offene Provokation gewertet werden dürfte: Zeichnet der tschechische Politiker doch für die Vertreibung der Sudetendeutschen nach 1945 verantwortlich. Nach Ansicht von tschechischen Kritikern handelt es sich aber eher um einen Versuch, kurz vor dem EU-Beitritt eine nationale Integrationsfigur künstlich hochzustilisieren.
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Der angestrebte Passus ist kurz und bündig. Er enthält ganze zwei Sätze, die sozialdemokratische Abgeordnete und eine Kommunistin dem Parlament vorlegen wollen. Erstens: Edvard Benes hat sich um den Staat verdient gemacht. Zweitens: Dieses Gesetz tritt am 28. Oktober 2003 in Kraft.
Der Zeitpunkt für den Vorstoß ist geschickt gewählt. Begeht man doch in Prag derzeit Feierlichkeiten anlässlich des Volksaufstandes vor 58 Jahren gegen die Nazi-Herrschaft, der drei Tage vor Kriegsende losbrach und als "Maiaufstand" in die Geschichtsbücher einging. Benes, der damals im Londoner Exil war, wird unter anderem als Befreier von Faschismus und deutscher Unterdrückung gefeiert. Jan Bures, Politologe auf der Prager Karlsuniversität ist jedenfalls davon überzeugt, dass Benes per Gesetzeskraft "der Öffentlichkeit als ein gewisses Symbol in Erinnerung gerufen werden soll, als ein bedeutender Mensch, der sich um die Entstehung der Republik 1918 verdient gemacht hat".
Ein zweiter, wahrscheinlich noch gewichtigerer Grund, warum die Debatte um den tschechischen Präsidenten gerade jetzt - vorläufig nur in Tschechien selbst - neu losgetreten wird, liegt im nahenden EU-Beitritt des Landes. Bures ist, wie er im tschechischen Rundfunk ausführte, davon überzeugt, dass man gerade in dieser Phase der Aufgabe gewisser nationaler Souveränitäten nach Symbolen sucht, die trotz des baldigen Aufgehens in der EU das nationale Selbstbewusstsein stärken sollen.
Zwei "Schönheitsfehler"
Benes, der zunächst tschechoslowakischer Präsident von 1935-1938 und dann wieder von 1945-1948 war, würde sich als Integrationsfigur naturgemäß gut eignen, meinen viele in Tschechien. Doch ist selbst er keineswegs unumstritten. Da wäre zum einen die vor allem in Österreich und Deutschland geführten Debatte um die so genannten "Benes-Dekrete". Ein Teil davon sah bekanntlich die Vertreibung der deutschen Minderheit nach 1945 als Akt der Staatsgründung vor; nach dem Motto: Einheitlicher Staat nur mit einheitlichem Staatsvolk. Viele, vor allem in der Tschechischen Republik, werfen Benes besonders vor, dass er im Jahr 1948 den putschenden Kommunisten zu schnell nachgegeben hätte und damit für vier Dekaden sowjet-kommunistischer Unterdrückung zumindest teilweise verantwortlich wäre.
Versichert wird jedenfalls von Kennern der Causa, dass es sich bei der anvisierten "Lex Benes" um einen rein symbolischen Akt handle. Einem Diskussionsverbot über den Politiker käme das keineswegs gleich, wird versichert.
Übrigens gibt es schon ein ähnliches Gesetz in Tschechien: Der erste tschechoslowakische Präsident, Thomas Garrigue Masaryk, (in Tschechien enorm populär und der Einfachheit halber schlicht "TGM" genannt), ist bereits durch ein eigens für ihn geschaffenes Gesetz geschützt.