Nach dem Machtverlust für die Hisbollah dürfte Saudi-Arabien versuchen, seinen Einfluss im Libanon wieder auszuweiten.
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Erstmals ins Parlament eingezogen ist Talal Arslan vor drei Jahrzehnten. Seither wurde der drusische Politiker, der einer der einflussreichsten Dynastien des Libanons angehört, nicht nur vier Mal als Abgeordneter wiedergewählt, Arslan bekleidete seit 1992 auch ein halbes Dutzend Ministerämter. Im genau austarierten ethnisch-konfessionellen Proporzsystem des kleinen Mittelmeerstaates fand sich für den Chef der Demokratischen Partei (LDP) immer ein Platz.
Nun allerdings endet Arslans Karriere als Abgeordneter. Bei der Parlamentswahl am Sonntag verlor der 65-Jährige sein Mandat an den Politneuling Mark Daou. Der Werbeexperte und Professor für Medienstudien war mit seiner eigenen Liste "Wir gemeinsam für den Wandel" angetreten, die auch noch zwei weitere Sitze im Parlament erobern konnte.
Der Sieg des Newcomers Daou über einen der wichtigsten Vertreter der alteingesessenen Politiker-Kaste mag zwar die größte Überraschung des Wahltages im Libanon gewesen sein, doch gleichzeitig folgt Arslans Abwahl auch einem größeren Trend. Wie die am Dienstag veröffentlichten offiziellen Endergebnisse der Wahlkommission zeigen, hat nicht nur der LDP-Chef sein Mandat verloren, so erging es auch vielen weiteren mit der schiitischen Hisbollah verbündeten Politikern. So hat neben diversen kleinen Protestlisten auch die Partei des ehemaligen christlichen Milizenkommandeurs Samir Geagea, der zu den schärfsten Hisbollah-Kritikern gehört, deutlich hinzugewonnen und stellt nun mit rund 20 Sitzen die stärkste christliche Kraft im Land.
Im unter einer regelrechten Multi-Krise leidenden Libanon dürfte damit eine Rückkehr zu den Verhältnissen vor der Wahl 2018 bevorstehen. Denn obwohl die vom Iran massiv unterstützte Hisbollah ihre Mandate selbst weitestgehend halten konnte, sind die Verluste ihrer Verbündeten so hoch, dass der gemeinsame Block im Parlament nur mehr 62 von 128 Sitze hält.
Eine tragfähige Mehrheit gibt es allerdings auch jenseits der Hisbollah nicht. Vielmehr finden sich im Abgeordnetenhaus nun viele verschiedene Lager, deren Trennlinien nicht mehr nur entlang des konfessionellen Status verlaufen, sondern auch zwischen beharrendem Establishment und unzufriedenen Reformern. Von den rund sieben Millionen Libanesen sind schätzungsweise je knapp 30 Prozent schiitische und sunnitische Muslime und rund 40 Prozent sind Christen.
Inflation bei 200 Prozent
Einen Ausweg aus der politischen Dauerlähmung und der schweren wirtschaftlichen Krise zu finden, dürfte damit nicht einfacher werden. Zumal auch das Ringen der beiden verfeindeten Regionalmächte Iran und Saudi-Arabien im Libanon nach der Wahl in eine neue und intensive Runde gehen dürfte. So rechnen viele Libanon-Experten damit, dass die Regierung in Riad nach dem Rückschlag für die Hisbollah versuchen wird, den saudischen Einfluss im Land wieder stärker auszuweiten. Die Hisbollah, die auch über einen schwer bewaffneten militärischen Arm verfügt, hatte es nicht zuletzt dank ihrer Sozialpolitik geschafft, sich die Unterstützung ihrer Klientel nachhaltig zu sichern. Das sunnitische Saudi-Arabien hatte wiederum in den vergangenen Jahren mehrmals seine wirtschaftlichen und diplomatischen Muskeln spielen lassen und libanesische Politiker damit öffentlich unter Druck gesetzt.
Wie dringend ein Aufbrechen des politischen Patts und wirtschaftliche Reformen im Libanon wären, zeigen allein schon die Zahlen. Nach Angaben der Vereinten Nationen leben bereits drei Viertel der Menschen mittlerweile unter der Armutsgrenze, viele von ihnen haben nur wenige Stunden am Tag Strom. Die libanesische Währung hat mehr als 90 Prozent ihres Wertes verloren, die Inflation liegt bei über 200 Prozent.
Die Regierung kann mittlerweile auch ihre Schulden nicht mehr zurückzahlen, der Wiederaufbau des Beiruter Hafenviertels, das im August 2020 durch eine gigantische Chemikalien-Explosion schwer verwüstet wurde, kommt entsprechend schleppend voran. Potenzielle ausländische Geldgeber wie der Internationale Währungsfonds (IWF) sind zwar prinzipiell bereit, mit Darlehen zu helfen, die Verhandlungen über die umfassenden Reformen, die der IWF im Gegenzug dafür verlangt, verliefen bisher aber im Sand.(rs)