Mit dem Abgang des Regierungschefs spitzt sich die politische Krise des auch wirtschaftlich schwer angeschlagenen Landes zu.
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Es war ein eindrucksvolles Zeichen für den Wunsch nach nationaler Einheit, das die Libanesen am vergangenen Sonntag gesetzt hatten. Von Tripoli im Norden des Landes bis Tyros im Süden hielten sich schätzungsweise hunderttausend Männer, Frauen und Kinder über eine Strecke von 170 Kilometern an den Händen. Das ganze Land schien geeint.
Doch die Hoffnung, dass der Libanon nach den schon seit mehr als zehn Tagen andauernden Massenprotesten gegen die als korrupt und inkompetent angesehene politische Klasse tatsächlich wieder zusammenfindet, dürfte sich wohl so schnell nicht erfüllen. Denn mit dem Rücktritt des sunnitischen Premierministers Saad Hariri droht dem ohnehin schon in einer tiefen wirtschaftlichen Krise steckenden Sechs-Millionen-Einwohner-Staat nun auch noch ein monatelanges politisches Vakuum.
So hatte es schon nach der letzten Wahl im Mai 2018 knapp neun Monate gedauert, bis es eine Einigung auf eine neue Regierung der nationalen Einheit gab. Denn im Libanon regieren Sunniten, Schiiten, Christen und Drusen gemeinsam und jede der 18 offiziell anerkannten Religionsgruppen muss politisch in irgendeiner Form vertreten sein. Doch die von den Protesten ausgelöste Regierungskrise hat die Gräben zwischen den rivalisierenden politischen und konfessionellen Gruppen noch weiter aufgerissen.
Unmittelbar vor dem Rücktritt Hariris zerstörten schwarz gekleidete Anhänger von Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah und Sympathisanten der ebenfalls schiitisch dominierten Amal-Partei ein Protest-Camp der Regierungsgegner im Herzen der Hauptstadt Beirut.
Nasrallah, dessen Partei in der Regierung mehrere Minister gestellt hat, hatte sich schon in den vergangenen Tagen mehrfach gegen einen Rücktritt der Regierung ausgesprochen. Ein Wechsel werde die Krise nicht lösen, sagte der einflussreiche Hisbollah-Chef. Der Vorsitzende der rechtsorientierten Libanesischen Kräfte, Samir Geagea, hatte dagegen schon vor Tagen alle vier Minister seiner Partei abgezogen, weil er nicht mehr an die Handlungsfähigkeit der Regierung glauben wollte.
Hariri selbst hatte in seiner TV-Ansprache am Montag erklärt, in einer politischen Sackgasse zu stecken. In den vergangenen Tagen hatten er und seine Minister unter hohem Druck nach Auswegen aus der Krise gesucht, um den Protesten, die sich an einer geplanten Besteuerung von Anrufen auf WhatsApp entzündet hatten, ein Ende zu bereiten. Als Teil der angekündigten Reformvorhaben sollten etwa Gehälter von Ministern und Parlamentsabgeordneten um die Hälfte gekürzt werden. Außerdem sollten Regierungseinrichtungen geschlossen oder zusammengelegt werden und kommendes Jahr keine neuen Steuern erhoben werden.
Währung bricht ein
Für das Gros der Demonstranten, die einen kompletten Wechsel des politischen Systems fordern, gingen die Kompromissvorschläge Hariris aber nicht weit genug. Denn aus Sicht vieler Libanesen haben es die vor allem mit Klientelpolitik beschäftigten Eliten in den 30 Jahren seit Ende des Bürgerkriegs nicht geschafft, den Alltag der Menschen zu verbessern. So hat Hariris Sparpolitik, mit der der Premier die enorme Staatsverschuldungsquote von 150 Prozent des BIPs verringern wollte, die Mittel- und Unterschicht deutlich härter getroffen als die Oberschicht. Durch die Regierungskrise ist es in den vergangenen Tagen zudem auch noch zu einem massiven Einbruch des libanesischen Pfunds und einer Verteuerung der Importe gekommen. "Selbst wenn die Demonstranten nun nach Hause gehen, stehen sie vor der Frage, wie sie mit der Abwertung des Pfunds umgehen", sagt der Ökonom Toufi Gaspard, der sowohl den Internationalen Währungsfonds wie auch das libanesische Finanzministerium beraten hat.(rs)