Die britischen Liberaldemokraten gingen mit großen Hoffnungen in den Wahlkampf. Doch ihr radikaler Brexit-Kurs verschreckt selbst eingefleischte Proeuropäer.
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Hugh Grant ist auf politischer Mission - zum ersten Mal in seinem Leben. Der britische Schauspieler ("Notting Hill", "Tatsächlich Liebe") kämpft gegen den Brexit. Am Sonntag hat er die Kandidatin der Liberaldemokraten Luciana Berger im Norden Londons bei Hausbesuchen begleitet. Grant will die Menschen davon abbringen, bei den Unterhauswahlen am 12. Dezember für Premier Boris Johnson und dessen Brexit-Hardliner zu stimmen. "Du wirst die Zukunft meiner Kinder nicht versauen", schrieb er im Herbst auf Twitter, gemeint war Johnson. "Du wirst die Freiheit nicht zerstören, die mein Großvater in zwei Weltkriegen verteidigt hat." Er sei angewidert von Johnson, dieser "überschätzten Gummi-Ente": "Fuck off!"
So leidenschaftlich kennt man Grant eigentlich nicht. Für die Schauspielerei hat er sich trotz seines Erfolgs nie richtig begeistert, seinen Job macht er hauptsächlich wegen des Geldes. Für Politik scheint sich der 59-Jährige schon mehr zu interessieren. Davon könnten auch die Liberaldemokraten profitieren. Gebrauchen können sie die Unterstützung durchaus: In den Umfragen dümpeln die Proeuropäer bei 11 bis 13 Prozent, Tendenz fallend.
Ein frisches Gesicht
Die LibDems haben sich nie richtig von ihrer Wahlniederlage von 2015 erholt. Zuvor hatten sie das Land gemeinsam mit den konservativen Tories regiert - und sich dabei völlig aufgerieben. Danach rutschten sie von 23 Prozent der Stimmen auf 7,8 ab, bei den Neuwahlen 2017 waren es dann nur noch 7,4 Prozent.
Doch dann beginnt das Brexit-Chaos - und die LibDems erleben ihren moralischen Höhenflug. Während sich die Tories gegenseitig zerfleischen und Labours wankender Brexit-Kurs für Kopfschütteln sorgt, haben die Liberalen ein klares Ziel: ein zweites Referendum. Das lockt nicht nur Wähler an, die unglücklich mit den Tories unter Theresa May sind oder mit Labour unter Jeremy Corbyn nichts anfangen können. Im Brexit-Streit laufen auch Abgeordnete beider Großparteien zu den LibDems über. Mit der Schottin Jo Swinson hat eine junge Frau den Parteivorsitz übernommen: ein frisches Gesicht, ein authentischer Charakter. Es sieht gut aus für die Liberalen.
Doch dann geht einiges schief. Nachdem im Herbst klar wurde, dass es bald Neuwahlen geben müsste, verkünden die LibDems selbstbewusst, man werde locker 100 Sitze dazugewinnen. Jo Swinson werde neue Premierministerin, am 13. Dezember werde man die Vorhänge in der Downing Street durch in der gelben Parteifarbe gehaltene ersetzen.
Das klingt alles maßlos übertrieben, ein bisschen so, als wollten sich die LibDems selbst Mut machen. Am schwersten aber wiegt die Radikalisierung der Partei in Sachen Brexit. Anstatt auf ihrer pragmatischen Remain-Position zu verharren, sich weiter für ein zweites Referendum einzusetzen und so ein Auffangbecken für all die frustrierten Wähler der beiden Großparteien zu bieten, wollen die Liberaldemokraten den Brexit nun gänzlich absagen. Artikel 50 zum EU-Austritt einfach zurückzunehmen ist nicht nur unrealistisch - von einer absoluten Mehrheit sind die LibDems Lichtjahre entfernt -, sondern auch strategisch ungeschickt. Selbst eingefleischte Proeuropäer halten die Idee für undemokratisch - und haben sich von den Liberalen abgewandt.
Wahlsystem nützt Großen
Für viele Briten ist schon der Vorschlag, ein zweites Brexit-Referendum abzuhalten, eine Missachtung des Volkswillens. Rund 52 Prozent der Wähler haben sich im Juni 2016 für den EU-Austritt ausgesprochen. Selten hat ein Thema so polarisiert, der Brexit zieht einen tiefen Riss durch die Gesellschaft. Bisher haben sich die Briten dennoch ruhig verhalten. Was allerdings los wäre, wenn die Regierung den EU-Austritt einfach rückgängig machen würde, ist kaum auszudenken.
Abgesehen von den eigenen Strategien steht den LibDems auch das britische Wahlsystem im Weg. Das Mehrheitswahlrecht sieht vor, dass der stimmenstärkste Kandidat eines Wahlkreises Abgeordneter in Westminster wird, die anderen gehen leer aus. Laut Umfragen will ein Drittel der Wähler diesmal taktisch votieren, Tendenz steigend. Und so werden wohl viele, die die Tories verhindern wollen, Labour ankreuzen - und umgekehrt. Für Kleinparteien wie die LibDems bedeutet das nichts Gutes.
Ihnen bleibt Hugh Grant, könnte man jetzt sagen. Doch der legt sich parteipolitisch nicht fest, sondern setzt sich für taktisches Wählen ein: In Wahlkreisen, in denen die Tories ihre Mehrheit verlieren könnten, unterstützt er proeuropäische Gegenkandidaten. Bis zur Wahl wird Grant auch gemeinsam mit Labour-Politikern an Haustüren klopfen.