Libyen hat gigantische Kapitalreserven - doch es gibt kaum Groß-Investitionen.
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Wien. David Bachmann, der scheidende österreichische Handelsdelegierte der Wirtschaftskammer in Tripolis, wird auf eine seltsame Art wehmütig, wenn er an seine sechs Jahre in Libyen denkt: wie er nach der Revolution im kalten libyschen Winter in Decken gehüllt und im Kerzenschein seinen Papierkram erledigt hat. Oder ihm Schüsse in der Nacht oder Carjackings am Tag langsam als Normalität erschienen sind. "Man gewöhnt sich an vieles", meint Bachmann. Der Handelsdelegierte hat ein Herz fürs Abenteuer und für Tripolis "muss man ein wenig der Abenteurertyp sein", wie Bachmann selbst sagt. Denn in Libyen herrscht auch heute, über zwei Jahre nach dem Sturz des Diktators Muammar Gaddafi, Chaos. Die einzelnen Stämme ringen um Macht und Einfluss, kriminelle Gangs treiben ihr Unwesen.
Die schwierige Sicherheitslage hat nun auch dazu geführt, dass die Ölproduktion nahezu zum Erliegen gekommen ist. Denn ausländische Spezialisten wagen sich nur selten in die Ölfördergebiete vor, um die Anlagen zu warten. Derzeit würden maximal 100.000 Fass (1 Fass oder Barrel: 159 Liter) Rohöl pro Tag gefördert, im Februar 2011, kurz nach der Revolution, die auch den Sturz von Muammar Gaddafi bedeutet hatte, waren es noch 1,5 Millionen Barrel Öl pro Tag (vor der Revolution lag die Förderung bei 1,6 Millionen Barrel). Zum Vergleich: In Österreich werden jeden Tag 257.000 Barrel Öl verbraucht.
Österreich deckt derzeit zwar rund ein Drittel seines Ölbedarfs aus libyschen Quellen, die Versorgung sei aber nicht gefährdet, sagt Bachmann: Die OMV, die seit vielen Jahren in dem nordafrikanischen Land aktiv ist, werde im Notfall eben auf andere Bezugsquellen ausweichen müssen.
Ohne eine Wiederherstellung der Sicherheit in den Ölfördergebieten und bei den Verladeterminals werde sich die Förderung nicht so schnell erholen, sagt Bachmann. Und das sei für das Land ein Problem: Schließlich seien 80 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes auf die Ölindustrie zurückzuführen.
Das Potenzial Libyens - was die Ölförderung betrifft - sei jedenfalls enorm: 48 Milliarden Barrel Öl, 2,9 Prozent der Weltreserven, liegen noch unter dem Wüstensand, das Öl ist von bester Qualität und die Förderung kostet nur rund einen Dollar pro Barrel. Libyen verfügt derzeit über fast 200 Milliarden Dollar an Devisenreserven. Doch im Moment sei das Land sehr stark mit sich selbst beschäftigt, sagt Bachmann, daher werde das Geld nicht ausgegeben. Es wird kaum in die Infrastruktur oder größere Projekte investiert.