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Libysche Eskalation

Von René Tebel

Gastkommentare

Das Land wird endgültig internationaler Krisenherd. Steigt die Chance für eine politische Lösung?


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Im April 2019 eröffnete der abtrünnige General Khalifa Haftar seinen "Sturm auf Tripolis". Der Angriff blieb südlich der Hauptstadt und in einem östlich daran anschließenden Küstenstreifen stecken. Nun holt die von der UN anerkannte Regierung des Nationalen Abkommens (GNA) unter ihrem Präsidenten Fayez el-Sarraj zum Gegenschlag aus.

Etwa einen Monat nach der Eroberung des Küstenstreifens zwischen der tunesischen Grenze und der Hauptstadt Tripolis im nordwestlichen Libyen konnten die Regierungstruppen am 18. Mai den Luftwaffenstützpunkt al Watiya einnehmen, der General Haftars Libyscher Nationalarmee (LNA) als Hauptquartier für die westlichen Operationen gedient hatte. Tags darauf fiel das Hinterland der Basis in die Hände der GNA, und bald konnte der Belagerungsring um Tripolis durchbrochen werden. Vom raschen Vorrücken eingeengt, musste vorige Woche gar die kampferprobte russische Söldnertruppe Wagner aus der Umgebung der Hauptstadt ausgeflogen werden.

Hinter den raschen Erfolgen der libyschen Armee steht der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, der seit Jahresbeginn aktiv auf der Seite der Regierung in Tripolis eingreift: durch mittlerweile mehr als 10.000 syrische Söldner, elektronische Kriegsführung, den Aufbau einer Luftabwehr und insbesondere den Einsatz unbemannter Kampfdrohnen. Diese Strategie hatte die türkische Armee erst im März an den Truppen des syrischen Machthabers Bashar al-Assads in Idlib mit überragendem Erfolg getestet. Ihre Erfahrungen überträgt sie nun auf Libyen, ein Land mit wüstenartigem Terrain, in dem sich militärische Bewegungen aus der Luft kaum verbergen lassen. Türkische Drohnen übernehmen die Aufgabe der Luftaufklärung, fungieren als Schutz für Regierungstruppen und Söldner und werden für Angriffe eingesetzt.

Machtbalance in Libyen gekippt

Die Gunst der Zeit nutzend, versuchen die libyschen Regierungstruppen nun die Stadt Tarhuna, 65 Kilometer südöstlich von Tripolis, großräumig einzukesseln. Fiele ihnen auch dieser letzte wichtige Brückenkopf in der Umgebung der Hauptstadt zu, hätte Haftars LNA kaum noch Aussicht, Tripolis einnehmen zu können. Allerdings wehren sich Haftars Milizen erbittert und konnten soeben eine jüngst verlorene Stadt südlich von Tripolis wieder zurückgewinnen.

Trotz dieses Rückschlags hat Erdogans Einsatz die Machtbalance in Libyen gekippt und das Land nun endgültig in einen internationalen Krisenherd verwandelt. Libyen ist geopolitisch zu wichtig, zu viele Interessen stehen auf dem Spiel. Denn Libyen besitzt nicht nur bedeutende Öl- und Gasreserven, das Land gilt auch als Tor nach Afrika, liegt Italien, Malta und Griechenland gegenüber und ist ein Sammelpunkt wichtiger Migrationsrouten aus Schwarzafrika nach Europa.

Die USA und die Nato zeigen sich alarmiert, dass Russland als Unterstützer General Haftars im Mai 14 russische Kampfflugzeuge auf die Luftwaffenbasis al Jufra verlegt haben soll - umlackiert und ohne Hoheitszeichen. Als Reaktion erwägen die USA die Entsendung eines kleinen Militärkontingents nach Tunesien.

Mehr als ein Stellvertreterkrieg

Kaum geringer ist allerdings der Unmut in Ländern wie Frankreich, Ägypten, Griechenland, Zypern oder den Vereinigten Arabischen Emiraten gegenüber der aggressiven türkischen Machtpolitik in Libyen und im Mittelmeerraum. In einer Mischung aus neoosmanischer Politik und islamistischer Agenda könnte Erdogan versucht sein, Libyen als Sprungbrett zu nutzen, um nach mehr als 100 Jahren wieder in Nordafrika Fuß zu fassen und in weiterer Folge eher westlich orientierte oder instabile Staaten Nordafrikas und der Sahelzone durch islamistische Kräfte zu destabilisieren. Zudem sorgt ein Abkommen der Türkei über die Seegrenze mit Libyen und seine Ansprüche im Mittelmeer auf Meeresgegenden mit vermuteten Gasfeldern für Verstimmung.

Doch so kurios es klingt: Erst jetzt, wo sich der libysche Bürgerkrieg von einem Stellvertreterkrieg zu einem internationalen Krisenherd wandelt, könnte die Bereitschaft der Konfliktparteien steigen, eine politische Lösung anzusteuern.