Philosophie und Wissenschaften des 18. Jahrhunderts verdankten entscheidende Impulse der schottischen Aufklärung.
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Dezember 1696. Ein kalter Wind bläst durch Edinburgh, so kalt, dass der Student Thomas Aikenhead zu Freunden sagt, er wäre nun gerne in der Hölle, um sich dort zu wärmen. Am nächsten Tag wird Aikenhead wegen Gotteslästerung verhaftet und nach einem kurzen Prozess zum Tode verurteilt.
Innerhalb weniger Jahrzehnte nach diesem mittelalterlichen Urteil wandelte sich Schottland von einem rückständigen Gebiet in einen Vorreiter der Aufklärung. Edinburgh und Glasgow wurden zu europaweit beachteten Zentren der Wissenschaft und Gelehrsamkeit. Wie war dieser schnelle Schritt in die Moderne möglich?
Gehen wir ein paar Jahre zurück: 1688 wurde Wilhelm von Oranien als König von England eingesetzt und das schottische Parlament in Edinburgh erkannte ihn als neuen König von Schottland an. Die Clanchefs in den Highlands blieben allerdings der bis dahin regierenden Dynastie der Stuarts treu und der neue König Wilhelm musste seine Ansprüche auf den Thron mit Gewalt durchsetzen. Zusätzlich zu diesen politischen Wirren geriet Schottland durch mehrere Missernten und überdimensionierte koloniale Abenteuer in große wirtschaftliche Probleme, die Folge war der finanzielle Bankrott des Landes.
Ungeliebte Vereinigung
1707 wurden England und Schottland mit dem "Act of Union" im neuen Staat Großbritannien vereint. Schottland konnte dadurch seine Schulden auf England abwälzen und seiner Wirtschaft standen mit einem Mal große Märkte offen. Im Gegenzug wurde das schottische Parlament aufgelöst und England konnte seine politische Vorherrschaft durchsetzen. Auf die Vereinigung mit England folgte ein beeindruckender wirtschaftlicher Aufschwung.
Aber nicht alle Schotten waren mit der Vereinigung einverstanden. Die Bevölkerung der Highlands verlangte die Unabhängigkeit des Landes, es kam zu mehreren Aufständen in den nördlichen Teilen Schottlands. Um weitere Bestrebungen nach Unabhängigkeit zu unterbinden, beschloss die Regierung eine Reihe von Maßnahmen, die tief in das Alltagsleben eingriffen: das Tragen von Waffen und typischer schottischer Kleidung sowie die Verwendung der gälischen Sprache wurden verboten. Diese Maßnahmen führten dazu, dass das traditionelle Sozialsystem der Clans zusammenbrach. Es folgte eine umfassende Landflucht und dieser Zustrom neuer Bevölkerungsschichten in die Städte befeuerte das Wachstum der Wirtschaft.
Ein weiterer Faktor für den rasanten Aufstieg des Landes war die vergleichsweise hohe Bildung der Bevölkerung: Im 17. Jahrhundert gab es in England zwei Universitäten, in Schottland waren es fünf. Dazu kam, dass die Kosten für ein Studium an den schottischen Universitäten weit geringer waren als in anderen Ländern Europas, der Zugang zu Hochschulen war daher nicht auf die wohlhabenden Schichten beschränkt.
Gerade im Bildungswesen verfügte Schottland über gute Beziehungen zum europäischen Festland, vor allem zu Frankreich. Schon im Mittelalter hatten sich Schottland und Frankreich in der sogenannten "Auld Alliance" gegen England verbündet. Dieses Bündnis war durch die Vereinigung von Schottland mit England beendet worden, die Nahebeziehung zu Frankreich blieb aber in den Köpfen vieler Schotten verankert. Ihre führenden Intellektuellen blickten weiterhin nach Paris.
All diese Faktoren trugen dazu bei, dass es zwischen 1740 und 1790 zu einer regelrechten Explosion des geistigen Lebens in Schottland kam. Während Glasgow durch den Handel mit Amerika zur wirtschaftlichen Metropole Schottlands wurde, entwickelte sich Edinburgh zum intellektuellen Zentrum des Landes. Die Universität von Edinburgh erlangte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine Vorrangstellung in Großbritannien und zählte zu den besten Europas. Angesichts dieser Zusammenballung von Wissen gelangte die Stadt Edinburgh zu schmückenden Beinamen: der Schriftsteller Tobias Smollet nannte sie ein "hot-bed of genius" (eine Brutstätte des Geistes), der Künstler Allan Ramsay sprach von einem "Athen des Nordens".
Aus dem vielfältigen Geistesleben dieser Zeit ragt der Philosoph David Hume heraus, der sich mit Problemen der Erkenntnistheorie und davon ausgehend mit der Frage nach dem rechten Handeln auseinandersetzte. Hume vertrat eine skeptische und von Metaphysik freie Philosophie und wurde zu einem der bekanntesten Vordenker der Aufklärung. Er inspirierte Immanuel Kant, und Arthur Schopenhauer meinte gar, dass aus jeder Seite von David Hume mehr zu lernen sei als aus Hegels und Schleiermachers sämtlichen philosophischen Werken zusammengenommen.
Humes enger Freund Adam Smith beschäftigte sich mit unterschiedlichen Aspekten der Moral und der Frage, wie Menschen miteinander umgehen und warum sie Mitleid füreinander empfinden. Weltweit bekannt wurde er allerdings durch sein Buch "Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations", das bis heute als eines der grundlegenden Werke der Wirtschaftswissenschaften gilt. Smith trat darin gegen den protektionistischen Merkantilismus seiner Zeit und für ein liberales Wirtschaftssystem ein.
Der "keltische Homer"
Auf dem Gebiet der Literatur sorgte vor allem ein Werk aus Schottland für europaweites Aufsehen: der Lehrer und Dichter James Macpherson gab vor, alte gälische Quellen gesammelt zu haben und veröffentlichte das Epos "Ossian". Tatsächlich war Macpherson zwar auf der Suche nach keltischer Literatur gewesen, das umfangreiche Werk selbst war aber schlichtweg eine Fälschung; es war von Macpherson selbst gedichtet. Obwohl bald nach der Veröffentlichung die ersten Zweifel an der Authentizität bekannt wurden, sorgte die Dichtung auf dem gesamten Kontinent für Aufsehen. Napoleon bewunderte den "keltischen Homer" und das Werk beeinflusste besonders viele deutsche Dichter, allen voran Herder und Goethe.
Die bemerkenswerten schottischen Leistungen beschränkten sich aber nicht auf Philosophie und Literatur. Auch in den Wissenschaften und der Technik standen in dieser kurzen Epoche Schotten an der Spitze der Forschung. Die Brüder William und John Hunter galten als führende Pathologen und Chirurgen ihrer Zeit und machten Edinburgh zu einem Zentrum der Medizin. James Hutton, genannt "der Begründer der Geologie", vertrat als einer der Ersten die These, dass die Erde älter sein müsste, als man mithilfe der Bibel berechnet hatte. Neben diesen Gelehrten soll auch James Watt nicht unerwähnt bleiben, der als Instrumentenmacher an der Universität Glasgow angestellt war und durch die Verbesserung der Dampfmaschine die Motorisierung der Menschheit einleitete.
Die Enzyklopädie
Das Wissen der Zeit wuchs dermaßen schnell, dass bald Rufe nach einer geordneten Sammlung der neuen Kenntnisse laut wurden. Um die neuen Erkenntnisse breiten Schichten zugänglich zu machen, erschienen im Jahr 1768 in Edinburgh die drei Bände der ersten Ausgabe der "Encyclopædia Britannica". 130 Jahre lang wurde die Enzyklopädie in Schottland erstellt, danach an einen Verlag in den USA verkauft. Die letzte gedruckte Ausgabe des Lexikons aus dem Jahr 2010 umfasste 32 Bände, seitdem wird es nur mehr digital produziert.
Um 1790 endete die schottische Blütezeit. Die führenden Denker starben kurz hintereinander und mehrere Missernten zwangen die Bevölkerung Schottlands, ihre Kraft auf den alltäglichen Broterwerb zu konzentrieren. Dazu kam politischer Druck: Angesichts der Französischen Revolution ging das britische Könighaus streng gegen mögliche Revolutionäre vor und die Angst vor Repressionen wirkte sich auch auf das intellektuelle Klima aus.
Was blieb aber von der schottischen Aufklärung? Auch wenn sie heute in der breiten Wahrnehmung im Schatten der französischen Aufklärer stehen, so haben zumindest einige der schottischen Philosophen bis in unsere Tage ihre Bedeutung bewahrt. Schottische Wissenschafter und Philosophen dominierten für Jahrzehnte das Denken in Großbritannien und kamen über den Umweg des britischen Empires zu weltweiter Geltung. Zur gleichen Zeit, als das geistige Leben Schottlands auf dem Höhepunkt angelangt war, führten die Vereinigten Staaten von Amerika den Krieg um ihre Unabhängigkeit. Die Ideen der schottischen Aufklärung beeindruckten auch die amerikanischen Gründerväter und über den Umweg von Nordamerika werden viele Ideen, die ursprünglich aus Schottland stammen, noch heute in aller Welt debattiert.
Christian Hütterer, geb. 1974, ist Politikwissenschafter und Historiker und arbeitet im EU- wie auch Internationalen Dienst der Parlamentsdirektion.