Europa wird gestärkt aus der Pandemie hervorgehen. Die Kombination aus expansiver Fiskalpolitik und unterstützender Geldpolitik war richtig.
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Je ereignisreicher und schwieriger die Zeiten sind, desto häufiger wird das Mantra von der "Krise als Chance" bemüht. Auch jetzt, wo die Covid-19-Pandemie die Weltwirtschaft in die größten Turbulenzen seit dem Zweiten Weltkrieg gestürzt hat, ist es nicht zynisch oder naiv, sondern sinnvoll, nach Lichtblicken zu suchen und nachhaltige Lehren aus der Corona-Krise zu ziehen.
Die Pandemie hat uns etwa in Erinnerung gerufen, wie wichtig gut funktionierende Institutionen, eine handlungsfähige Wirtschaftspolitik und das europäische Sozialstaatsmodell sind, um durch unerwartete, tiefe Krisenperioden mit möglichst geringen Verlusten der Wirtschaftsleistung zu kommen. Hier wurden rasch die richtigen Schlüsse aus den Versäumnissen der Wirtschafts- und Finanzmarktkrise und der darauffolgenden Euro-Krise gezogen. Die Wirtschaftspolitik hat unverzüglich Maßnahmen ergriffen, um die steigende Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, schnellstmögliche Hilfe für Unternehmen zur Verfügung zu stellen und möglichst viele Firmen vor der Pleite zu retten.
Eine moderne Wirtschaft ist besonders von indirekten Nachfrageeffekten sowie von unterschiedlichen externen Effekten geprägt. Die Ausgaben einer Gruppe sind die Einnahmen einer anderen Gruppe. Die Insolvenz einer Firma führt zur Arbeitslosigkeit von Mitarbeitern, die deswegen unter Einkommensverlusten leiden und ihren Konsum reduzieren. Eine Spirale nach unten wird in Gang gesetzt, weitere Einkommensverluste anderer Gruppen werden ausgelöst.
Wer dabei eine "schöpferische Zerstörung" erkennt, befindet sich auf dem Holzweg und unterschätzt die makroökomischen Folgewirkungen. Vielmehr geht es in einer solchen Situation darum, die Verluste durch makroökonomische Stabilisierung zu minimieren, was wiederum eine schnellere Erholung garantieren soll. Eine viel zitierte Aussage des US-Ökonomen und Wirtschaftsnobelpreisträgers Milton Friedman erweist sich dabei wieder einmal als richtig: "In der Krise sind wir alle Keynesianer."
Noch stärkerer Absturz im Lockdown wurde verhindert
In der Corona-Krise wurden zahlreiche Maßnahmen unternommen, um Haushalte und Unternehmen weitgehend zu unterstützen. Dadurch wurde die erste Phase der Krise entscheidend abgefedert. Trotzdem werden die Wertschöpfungsstatistiken für das heurige Jahr historisch negative Werte aufzeigen, ebenso die Arbeitslosenzahlen. Darin ein Zeichen zu sehen, dass die Maßnahmen nicht gewirkt haben, wäre jedoch eine Fehleinschätzung. Das zeigt nicht zuletzt eine Einschätzung der Maßnahmen durch die Forschungsinstitute Wifo, IHS und EcoAustria.
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Ohne diese Maßnahmen wären aktuell wahrscheinlich tausende Personen mehr arbeitslos, und hunderte Produktionsbetriebe und andere Unternehmen wären wohl bereits in die Insolvenz geschlittert. Wir stünden vor enormen Know-how- und Produktivitätsverlusten. Durch die richtige Kombination aus expansiver Fiskalpolitik und unterstützender Geldpolitik wurde ein noch stärkerer Absturz des Wirtschaftssystems in den Monaten des Lockdowns verhindert.
Die katastrophalen Prognosen für den Zerfall der EU haben sich bisher auch nicht realisiert - im Gegenteil: Durch die neuen Beschlüsse auf EU-Ebene, einen gemeinsame Krisenfond zu errichten, wird Europa gestärkt aus der Krise hervorgehen. In den ersten Märzwochen des Lockdown spielte die Europäische Zentralbank eine entscheidende Rolle, um Panik auf den Finanzmärkten zu verhindern. Geldpolitik bei Nullzinsen kann aber nur bis zu einer gewissen Grenze helfen - ab einem bestimmten Punkt müssen Staatsausgaben in Form von zukunftsgerichteten Investitionen den fehlenden Konsum der privaten Haushalte ersetzen, um den freien Fall der Wirtschaft zu stoppen. Um diesen Investitionen eine zukunftsorientierte Richtung zu geben, verlautbarte die EU-Kommission, dass die Mittel aus dem Krisenfonds in die digitale und grüne Transformation fließen sollen.
Bekämpfung der Pandemie hat höchste Priorität
All das bedeutet aber nicht, dass alle Stabilisierungsmaßnahmen erwünscht sind oder dass sie auf unbegrenzte Zeit verlängert werden sollen. Die unterschiedlichen Programme müssen dynamisch angepasst werden - einige sollten aufgestockt oder optimiert werden, andere gekürzt oder komplett umgestellt werden. Die Umsetzung funktionierte nicht immer perfekt. Das war und ist unter diesen Umständen wohl nicht völlig vermeidbar. Die Maßnahmen sollten langsam so angepasst werden, dass sie die richtigen Anreize schaffen - etwa um die Arbeitsintensität zu erhöhen, Jobwechsel zuzulassen oder wichtige Umstrukturierungsprozesse in Unternehmen anzustoßen.
Mittlerweile hat man auch Mängel der geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen erkannt. Auf der einen Seite ist es unklar, ob die expansive Geldpolitik weiterhin die Effizienz hat, die Wirtschaft mit weiteren Zinssenkungen zu unterstützen, wenn die Zinsen schon bei null sind. Noch stärker sind die Probleme für die Fiskalpolitik - breite Fiskalimpulse gelangten oft zu Haushalten ohne Einkommensverluste beziehungsweise mit Vermögen - die diese Mittel dann nicht verwendeten, sondern einfach sparten. Die extrem hohe Unsicherheit bezüglich der zukünftigen Konjunkturentwicklung könnte viele Haushalte veranlassen, zusätzliche Transfermittel für schwierige Zeiten einfach anzusparen. Es ist unklar, ob Haushalte bei stabilen Einkommen, aber einem Mangel an Möglichkeiten, diese zu konsumieren - etwa aus Angst davor, einkaufen oder in ein Restaurant zu gehen -, die Effizienz von Fiskalpolitik als Konsumtreiber reduzieren.
Der Harvard-Ökonom Raj Chetty und sein Team zeigten auf, wie die unteren Einkommensschichten in New York City unter Einkommensschocks litten, weil höhere Einkommensbezieher ihren Konsum in Restaurants und ihre Freizeitaktivitäten einschränkten. Das macht die Fiskalpolitik weniger effektiv als in normalen Krisen. Um die Effizienz wirtschaftspolitischer Maßnahmen wiederherzustellen, hat die Kontrolle der gesundheitlichen Situation die höchste Priorität. Zudem sollten zukünftige Maßnahmen auf die besonders betroffenen Haushalte und Wirtschaftssektoren ausgerichtet sein, da die Krise sich sehr ungleich auf unterschiedliche Einkommensgruppen, Berufe und Wirtschaftssektoren auswirkt.
Wir haben in dieser Wirtschaftskrise trotz aller Probleme rascher und besser agiert als in der Vergangenheit. Das verschafft uns allerdings keine Verschnaufpause. Jetzt müssen die Maßnahmen so angepasst werden, dass sie zielgerichtet und zeitlich optimal wirken, um so die höchste Effizienz zu erzielen.