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Liebe

Von Rotraud A. Perner

Wissen

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In dieser Woche beginnt der Wonnemonat Mai und damit die bevorzugte Zeit für prunkvolle Eheschließungen. Die meisten Menschen sind dann "von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt" - und wenn sie damit erfolgreich sind, von Glückshormonen durchflutet.

Anderenfalls üben sich die erfolglos Sehnsüchtigen in "Übersprungshandlungen": da das Aggressionszentrum dem Sexualzentrum im Gehirn benachbart liegt, können nämlich Erregungsinhalte leicht auf dieses Nachbarschaftsgebiet "überspringen" - und dann kommt es oft zu Beschimpfungen oder gar körperlichen Attacken der Person, die sich nicht "willfährig" erweist.

Bekannt? In der Schule erfahren viele die Geschichte vom Füchslein, das sich mit dem Satz "Die Trauben sind mir ohnedies zu sauer!" darüber hinweg tröstet, dass es sie nicht erreichen kann. "Verkehren ins Gegenteil" nennen wir das in der Psychoanalyse: was ursprünglich begehrt wurde, wird bei Misserfolg entwertet.

Aber nicht jede Person wählt derart destruktive Abwehrformen. Konstruktive sind beispielsweise das "Sublimieren": man veredelt den frustrierten Impuls, indem man ihn in eine Kulturleistung verwandelt - Liebesbriefe schreibt oder gar Gedichte, das Bild der/des Geliebten zeichnet oder malt, einen Forschungsgegenstand daraus macht und beispielsweise über Liebeskummer publiziert . . . die Gefühle also anders als durch liebevolle Blicke, Laute, Hand-lungen aus-drückt.

Alternative: sich anders als durch Ausdruck von dem unerwünschten Gefühl zu befreien suchen. Etwa durch Flucht in ein Ideal von Asexualität. Da kann man sich dann gleich noch als "Elite" fühlen - als jemand, der/die über den "trivialen" Triebqualen steht . . . und sich über diese "Stinos" (= Stinknormalen) überheben. Oder die eigenen abgewehrten Triebimpulse auf die auslösende Person projizieren: nicht ich bin triebhaft, sondern du . . . Oder auch dadurch, dass man die "Sexuellen" verfolgt. Natürlich im Namen von Sitte und Moral (und nicht mit der Kamera im Gebüsch!)

Viele Menschen ersparen sich nur zu gerne die mühevolle Arbeit, zwischen den vielen kleinen Gefühlsqualitäten zu unterscheiden, die sich in einem klischeehaften Begriff verbergen. So sprechen viele von Liebe - eine exakt entschlüsselnde Beobachterschaft erkennt aber Dankbarkeit, Abhängigkeit, Besitzstreben, Gewohnheit, Sehnsucht, Begehren - oder sogar taktische Namensgebung zur Verschleierung von Machtansprüchen. Die werden oft unter Appellen wie "Wenn du mich lieben würdest, dann . . ." versteckt. Und die so Angesprochenen reagieren dann oft mit Schuldgefühlen und halten das dann wieder für Liebe.

Der erste Bestseller von Michael Lukas Moeller trägt den Titel: "Die Liebe ist das Kind der Freiheit" (verlegt bei Rowohlt). Liebe lässt den geliebten anderen Menschen sein, wie er oder sie ist und begeistert sich an dessen Einzigartigkeit - ohne konsumieren oder besitzen zu wollen. Den "Geist" des Anderen erfahren - und die eigene Reaktion darauf: einfach nur spüren, welche Bereicherung es bedeutet, den Anderen bloß "erleben" zu dürfen.

Das braucht Zeit. Und die fehlt heute vielfach in einer Arbeitswelt zunehmender Komplexität, zunehmender Beschleunigung und zunehmender Forderung nach Coolness. Nur: ein "kaltes Herz" liebt nicht. Das konnten wir bereits als Kinder in dem gleichnamigen Märchen von Wilhelm Hauff nachlesen: dem Kohlenmunkpeter geht es um Gewinn (im Glückspiel) und damit Geld und um den narzistischen Erfolg bei Frauen (auf dem Tanzboden), aber nicht um die persönliche Reifung. Aber schleichen sich diese falschen Werte nicht auch heute ins Arbeits- wie ins Privatleben?

Ein liebendes Herz ist weit offen - aufnahme- und abgabebereit - und alles andere als kühl. Warm. Heiss. Flammend. Wir sollten uns dessen nicht schämen.