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Wie verhält sich die selektive Wahrnehmung zur Wirklichkeit? Das ist nur scheinbar eine akademische Frage. Tatsächlich betrifft sie jeden von uns. Natürlich unterscheidet sich der Wahrnehmungsradius von Fall zu Fall und von Mensch zu Mensch oft beträchtlich; im Grunde aber bestätigt sich doch immer wieder der uralte Lehrsatz der Erkenntnistheorie: Ein jeder sieht nur, was er sehen will. Das gilt auch fürs Hören. Damit komme ich zu Brahms.
Seit vielen Jahren höre ich ziemlich regelmäßig die Ö1-Musiksendung "Guten Morgen Österreich". Sie gefällt mir. Ich höre sie gern. Aber stets im Zustand gewisser Gespanntheit. Ich will erklären, warum. Vor etlichen Jahren brachte "Guten Morgen Österreich" ein Musikstück von Johannes Brahms, eine halbe Stunde danach noch eines, und eine Stunde später ein drittes. Da wurde ich stutzig, hellhörig. Heute weiß ich: Brahms kommt oft; öfter als die meisten anderen Komponisten. Brahms ist offenbar ein Liebling des Senders. Ich wollte der Sache auf den Grund gehen und erbat Hilfe, Auskunft von der zuständigen Ö1-Redaktion. Leider konnte man sie mir nicht geben. Man führt dort keine musikalische Hitliste, welche meine selektive Wahrnehmung bestätigen oder widerlegen könnte.
Damit kein Missverständnis entsteht: Ich fordere nicht die Einführung einer solchen Liste. Ich will nur wissen, ob ich recht habe. Dass Mozart öfter gesendet wird als Pergolesi und Beethoven öfter als Humperdinck, ist unbestritten. Doch gibt es wirklich, wie zu vermuten ich fast gezwungen bin, auf Ö1 eine Brahms-Lobby? Ich hätte nichts dagegen, wenn dem so wäre. Auch ich liebe Brahms. Seit vielen Jahren. Glücklicherweise ist er auf Ö1 oft zu hören.
PS: Gewiss, ich könnte mit Hilfe des Radioprogramms selbst eine Musikstatistik zusammenstellen. Aber wie sollte ich das meiner Wahrnehmung beibringen?