Oder: Wie das Lesen von "Staatsbilanzen" zum Investmentalltag geworden ist.
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Meinen Urlaub verbringe ich heuer auf den südeuropäischen britischen Inseln - was ich der Finanzkrise zu verdanken habe, die vieles, was bisher "absolut sicher" war, umgeworfen hat. Bei hochverschuldeten EU-Ländern denkt man an Südeuropa und zuallererst an Griechenland. Laut Statistik war Irland aber im Budgetdefizit-Ranking 2009 mit -14,3 Prozent auf Platz eins.
Und sowohl heuer als auch nächstes Jahr werden die Ausgaben in diesem Land die Einnahmen deutlich mehr übersteigen als in jedem südeuropäischen Land. Großbritannien wiederum steht mit einem geschätzten Defizit von -10 Prozent für 2010 weitaus schlechter da als etwa Italien (-5 Prozent).
Wie in den meisten EU-Ländern ist von einer Einhaltung des sogenannten "Maastricht-Kriterium" von 3 Prozent Budgetdefizit keine Rede mehr. (Österreich wird heuer wahrscheinlich bei -4,5 Prozent liegen).
Zu diesen Kriterien, die als Stabilisator für die Währungsunion eingeführt worden waren, gehört auch die Höhe der Staatsverschuldung, also wie viel Prozent des Brutto-Inlandsprodukts (BIP) ein Land seinen Geldgebern brutto schuldet. Eventuelle ausständige Zahlungen an dieses Land werden nicht berücksichtigt. Hier stellt sich das Bild etwas anders dar: Die sogenannten PIIGGS sind noch immer Spitzenreiter in Europa, aber Italien mit 115,8 Prozent Staatsverschuldung und Griechenland mit 115,1 Prozent lagen 2009 deutlich über Großbritannien (68,1) und Irland (64). Finanzanalysten haben dennoch all diese Länder in einen Topf geworfen und mit dem Akronym PIIGGS beschriftet: Portugal, Italien, Irland, Griechenland, Großbritannien, Spanien.
Dass solche Schuldenstände die Anleihenmärkte der Länder beeinflussen, ist einleuchtend, denn sie müssen die Investoren mit höheren Zinsen (als Risikoaufschläge) locken.
Konsolidierungsprogramme, die oft Steuererhöhungen beinhalten, Arbeitslosenzahlen und eine generelle Vorsicht von Investoren gegenüber verschuldeten Ländern beeinflussen aber auch die Aktienmärkte.
So hat der griechisch ASE-Index laut Statistiken der Allianz Investmentbank heuer 34,11 Prozent verloren, der spanische Ibex 18,86 und der italienische FTSE MIB 13,41 Prozent.
Spätestens hier ist die traditionelle europäische Landkarte wieder hergestellt, denn das Investorenvertrauen in die "Überlebensfähigkeit" der britischen Inseln ist weitaus größer: Der FTSE 100 verlor im gleichen Zeitraum "nur" 6,30 Prozent und der irische Iseq 4,6 Prozent.
Run auf Schwellenländer
Nicht alle Anleger teilen diese Zuversicht aber auf lange Sicht, denn neben den Zahlen zur Staatsverschuldung müssen auch gesamtwirtschaftliche Faktoren betrachtet werden - ähnlich wie bei einer Unternehmensbilanz. "Die Verschuldungsproblematik und Budgetkonsolidierung drohen das ohnehin geringfügige Wachstum im Euroraum abzuwürgen," so Christian Ramberger, Geschäftsführer der Allianz Invest KAG.
Einige Investoren setzen daher auf Schwellenländer oder "Emerging Markets" (emerging: "auftauchend"), also jene Staaten, deren wirtschaftliche Entwicklung noch nicht das Niveau Europas oder der USA erreicht hat. Besonders modisch war es vor der Krise in BRICs zu investieren: Brasilien, Russland, Indien, China.
Sie weisen alle niedrigere Budgetdefizite als der EU-Durchschnitt aus. Brasilien etwa (und auch China, zumindest laut offiziellen Zahlen) steht bei knapp über 3 Prozent Defizit und die Staatsverschuldung liegt um die oder sogar unter der Maastricht-Grenze. Außerdem sehen Analysten in allen Schwellenländern großes Potenzial für Wirtschaftswachstum durch einen Anstieg des Lebensstandards - während für viele Industriestaaten langfristig nur Stagnation prognostiziert wird. Wer weiß, vielleicht gehen zukünftige London-Reisen dann in ein Schwellenland?
Barbara Ottawa ist freie Journalistin und berichtet vorwiegend über Investitionen und Pensionskassen.