Möglichkeiten einer Sammelklage in Österreich. | Angst vor amerikanischen Verhältnissen ist unbegründet. | Wien. Geschädigten Anlegern rund um die Immofinanz, Auer von Welsbach, den Madoff-Fonds oder Lehman Brothers wird von verschiedenen Seiten die Beteiligung an Sammelaktionen, Sammelinterventionen oder gar Sammelklagen angeboten. Die Sammelklage kennt man aus den USA, wo geschäftstüchtige Anwälte für viele Geschädigte vor Gericht ziehen und gegen ein Erfolgshonorar zum Teil beachtliche Vergleiche erzielen.
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Doch auch hierzulande gibt es seit dem Jahr 2000 eine "Sammelklage nach österreichischem Recht". Diese ist eine Weiterentwicklung der Musterprozesse, die sich um typische Verbraucherprobleme drehen. Das Problem bei den Musterprozessen ist jedoch: Was nützt einer Masse von Geschädigten - etwa den Kreditnehmern im Streit mit den Banken um variable Kreditzinsen - ein gewonnener Musterprozess, wenn in der Zwischenzeit die Ansprüche aller weiteren Geschädigten verjährt sind und der Prozessgegner so um deren Entschädigung herum kommt?
Widersprüche vermeiden
Die österreichische Form der Sammelklage baut auf zwei bestehenden Möglichkeiten der Zivilprozessordnung auf: Die Geschädigten treten ihre Ansprüche dem Sammelkläger - also etwa dem Verein für Konsumenteninformation (VKI) - zum Inkasso ab. Und dieser bringt die Ansprüche in Form einer Klagshäufung in einer Klage gegen den Schädiger ein.
Die Vorteile liegen auf der Hand: Man kann das Verfahren konzentrieren; ein Richter prüft und entscheidet, ein Sachverständiger beurteilt alle Fälle, und es gibt ein stimmiges Urteil und nicht viele - vielleicht widersprechende - Urteile. Dazu kommt, dass das Prozesskostenrisiko im Sinn beider Parteien deutlich gesenkt werden kann. Aufgrund des degressiven Anwaltstarifes sind die Kosten bei niedrigeren Streitwerten im Verhältnis höher als bei hohen Streitwerten. Und schließlich führt die Zusammenführung vieler Streitwerte auch dazu, dass die Finanzierung eines solchen Verfahrens durch einen Prozessfinanzierer möglich wird.
Prozessfinanzierer übernehmen das Kostenrisiko des Verfahrens und bekommen dafür eine Erfolgsquote zugesichert, welche in der Regel um die 30 Prozent ausmacht. Die Geschädigten können daher ohne weiteres Risiko ihre Ansprüche betreiben und sicher sein, dass der Finanzierer - im eigenen Interesse - das Beste herauszuholen sucht. Das Verbot einer Streitanteilsvereinbarung, wie es für Rechtsanwälte und andere "Rechtsfreunde" besteht, gilt für unabhängige Finanzierer nicht.
Ein Sanktus vom OGH
Die "Sammelklage nach österreichischem Recht" wurde auch vom Obersten Gerichtshof (OGH) für zulässig erklärt - und zwar für Fälle, in denen im wesentlichen gleichartige Ansprüche geprüft werden sollen und im wesentlichen gleichartige Sach- und Rechtsfragen zu lösen sind.
Nahezu alle Sammelklagen des VKI endeten bisher mit einem Vergleich. Die Sammelklage führt also keineswegs zu einer Überlastung der Gerichte, sondern hilft, einen Rechtsstreit endgültig aus der Welt zu schaffen. Wird eine Sammelklage einmal ausgestritten, dann ist das für Gericht und Parteien in der Regel noch immer günstiger, als wenn jeder alleine klagen würde.
Anders als bei der amerikanischen "Class action", nimmt an der österreichischen Sammelklage nur teil, wer seine Ansprüche abtritt. Dazu kommt, dass es in Österreich keinen "Strafschadenersatz" gibt und den Anwälten das reine Erfolgshonorar versagt ist. Zuweilen kritisierte Auswüchse des Systems in den USA sind in Österreich unbekannt.
Von der Sammelklage zu unterscheiden ist Gruppenklage, an der die Regierung derzeit arbeitet. Bei dieser Form soll es nicht mehr eines Sammelklägers bedürfen, sondern die Gruppenklage soll von jedem Geschädigten eingeleitet werden können. Über Aufruf des Gerichtes können sich dann die anderen Geschädigten melden. Sodann sollen gemeinsame Sach- und Rechtsfragen ausjudiziert werden. Stehen diese rechtskräftig fest, muss jeder seinen Anspruch der Höhe nach selbst weiter verfolgen.
Der Autor ist Leiter des Bereiches Recht im Verein für Konsumenteninformation (VKI).