Afrikas Jugend diskutiert in Kampala über Fluchtursachen. Die meisten wollen lieber nicht weg.
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Kampala. Fast der halbe afrikanische Kontinent ist in dem kleinen Konferenzsaal in Ugandas Hauptstadt Kampala vertreten: Aus Nigeria, Ghana, Togo und Mali, aus Burundi und Südafrika, aus dem Südsudan und dem Kongo sind Jugendvertreter angereist, um drei Tage lang zu diskutieren, was junge Afrikaner dazu bewegt, den langen und riskanten Weg nach Europa zu wagen.
Unter Tränen erzählt Bella Nshimirimana aus Burundi, wie sie hochschwanger aus Uganda fliehen musste und kein Wort Englisch sprach, um sich bei der Entbindung mit der Krankenschwester verständigen zu können. Daraufhin beschloss sie, sich in den Flüchtlingslagern der Region für die burundischen Frauen einzusetzen, damit sie mehr Bildung bekommen. Nach Europa auszuwandern sei ihr nie in den Sinn gekommen.
Ganz anderes berichtet Youssouf Diakité aus Mali, der als studierter Volkswirt keinen Job fand und nach Europa zog. Er erzählt von seinem Studium in Wien, wo er viele Afrikaner traf, die eigentlich in ihre Heimat zurückwollten, aber den Absprung nicht schafften: "Wir Afrikaner in Europa wollen nur etwas Geld sparen, um damit zu Hause ein Unternehmen zu gründen - doch das gelingt meist nicht." Letztlich gründete Youssouf eine Plattform, die Start-up-Gründer in der Diaspora mit denen in Afrika vernetzt.
Gierige Staatschefs schuld an Migration in die EU
Der Südsudanese Simon Toulong erzählt, wie er als Vertreter der südsudanesischen Flüchtlingsjugend zu einem Gipfel des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR nach Genf fliegen sollte und die Schweizer ihm das Visum verweigerten. Viele Konferenzteilnehmer klopfen sich lachend auf die Schenkel - so absurd klingt das. Doch hinter dem Lachen verbirgt sich bitterer Ernst: "Wieso dürfen nicht auch Afrikaner nach London reisen und sich dort den Palast der Königin anschauen?", klagt Bornwell Kantande, UNHCR-Vertreter in Uganda. Für viele verbirgt sich hinter der EU-Migrationskontrollpolitik purer Rassismus. "Wir Afrikaner haben kein Recht auf Mobilität", fasst es Samir Abir vom Migration-Observatory in Togo zusammen.
Flucht und Migration haben viele Ursachen - das ist eine zentrale Erkenntnis der ersten Diskussionsrunden. Oft treffen Junge die Entscheidung nicht allein: "Hinter einem migrierenden Jugendlichen steht eine ganze Familie, die sich verschuldet, um einen der Söhne fortzuschicken", sagt Delali Badasu von der Universität Ghana. Einig sind sich die meisten: Wenn das Leben zu Hause besser wäre, würden viele lieber bleiben.
Ziel der von der österreichischen Initiative ACT.NOW organisieren "African Youth and Migration"-Konferenz sei es, Migration nicht wie in Europa als Gefahr zu verstehen, sagt Hannes Swoboda, Präsident des Internationalen Instituts für Frieden in Wien, der die Konferenz leitete. Gleichzeitig steht die Frage im Raum, welche Alternativen zur Migration sich afrikanische Jugendliche wünschen.
"Jugend und Migration" - so lautet auch das Schwerpunktthema des anstehenden, gemeinsamen Gipfels der Europäischen und Afrikanischen Union in der Elfenbeinküste Ende November. Dort wollen europäische und afrikanische Staatschefs verhandeln, wie sich Migration aus Afrika nach Europa eindämmen lässt. Auf dem Gipfel in Maltas Hauptstadt Valletta hat die EU ihren afrikanischen Partnern bereits Milliarden an Hilfsgeldern in Aussicht gestellt, wenn sie ihre Jugendlichen zu Hause halten.
Der zweite Konferenztag in Kampala stand deshalb unter der Leitfrage: Warum fliehen und migrieren Jugendliche und was hält sie umgekehrt zu Hause? In Kleingruppen wurde heiß diskutiert. "Es sind machthungrige Staatschefs, die ein ganzes Land in den Krieg ziehen", sagt der Südsudanese Toulong. "Es sind Diktatoren, die unsere Rohstoffe an den Westen verhökern, während wir nichts abbekommen", so der Kongolese Lucien Bizimana. "Es sind miserable Bildungssysteme, in denen wir nichts lernen, was wir brauchen, um einen Job zu finden", wirft die Uganderin Joselyne Nmakhula ein.
Jeder vierte Einwohner Ugandas ist Flüchtling
Victor Ochen vom Refugee Law Project in Uganda ergreift das Mikrofon und spricht Ugandas Flüchtlingsminister Mussa Ecweru, der auf dem Podium sitzt, direkt an: "Wir wissen doch, was die Hauptursachen sind, warum wir Jugendlichen fliehen." Diese liegen nicht in Europa oder den USA. "Es ist die schlechte Regierungsführung der Machthaber", donnert Ochen. Abgesehen vom Klimawandel seien die meisten Konflikte und Fluchtursachen selbst verschuldet. "Wie können wir verhindern, dass wir Ugander, die heute so viele Flüchtlinge aufnehmen, morgen selbst fliehen müssen?"
Ugandas 72-jähriger Präsident Yoweri Museveni ist seit über 30 Jahren an der Macht. Das Land versinkt in Misswirtschaft, das Bildungssystem ist am Ende. Die Klassenzimmer sind überfüllt, auch wegen der vielen Flüchtlinge. Uganda beherbergt mehr als 1,3 Millionen Flüchtlinge, jeder vierte Einwohner stammt aus einem der krisengeplagten Nachbarländer. Hier stehen die größten Lager weltweit. Das kleine Land rühmt sich gern als Vorbild einer offenherzigen Flüchtlingspolitik. In seiner einleitenden Rede hatte Flüchtlingsminister Ecweru die Arme ausgestreckt und die Flüchtlingsjugend willkommen geheißen. Jetzt schaut er verdutzt, mit so viel Kritik hatte der Minister wohl nicht gerechnet. Die Teilnehmer applaudieren: "Endlich haben wir Jugendlichen den Mut, unseren Machthabern die Stirn zu bieten", flüstert jemand.
Als Forderungen für den anstehenden Gipfel im November sind sich letztlich alle einig: Wenn die Staatschefs über Jugend sprechen, dann sollte die junge Generation auch vertreten sein. Von Minister Ecweru wird gefordert, gleichzeitig einen alternativen Jugendgipfel abzuhalten. Ecweru verspricht, diese Idee zu verfolgen. Immerhin dafür bekommt er Beifall.