Mit Bernie Sanders sorgt nun plötzlich ein laut Eigendefinition "demokratischer Sozialist" für Furore. Und das in den USA, wo bisher mit dezidiert linken Positionen kein Staat zu machen war.
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Washington/Concord/Wien. Allein schon die Aussagen von Bernie Sanders nach seinem Triumph in New Hampshire zeigen ganz genau, aus welchem Eck er kommt und in welche Richtung sein Wahlkampf geht. "Es ist einfach zu spät für die gleiche alte Establishment-Politik und Establishment-Wirtschaft", sagte er, nachdem er bei den Vorwahlen der Demokraten in New Hampshire 60 Prozent der Stimmen auf sich vereinen konnte und Hillary Clinton deklassiert hatte.
Und er rief noch einmal seine Botschaft seiner euphorisierten Anhängerschar zu, die da lautet: "Die Regierung unseres großartigen Landes gehört dem gesamten Volk und nicht nur einer Handvoll reicher Wahlkampfspender."
Das Establishment, die Superreichen, die Bankenlobbies, die Wall Street - das sind diejenigen, die laut Sanders viel zu viel Macht und Einfluss in den USA besitzen, die das soziale und politische Gefüge in den USA viel zu stark aus dem Gleichgewicht gebracht haben. Auf der Gegenseite steht das Volk, für das er kämpft und das nicht mehr derart das Nachsehen haben soll. "Wir müssen den Milliardären erklären, dass sie nicht alles haben können", sagt er und will die Steuern für die Wall Street erhöhen. Studiengebühren an staatlichen Universitäten will Sanders abschaffen, den Mindestlohn auf 15 Dollar in der Stunde anheben. Außerdem propagiert er eine staatliche Krankenversicherung, die für alle Bürger das Recht auf Gesundheitsversorgung garantiert.
Sanders bezeichnet sich selbst als "demokratischen Sozialisten". Das ist vielleicht der überraschendste Aspekt: Dass er damit in den USA, einem Land, das dezidiert linke Posionen so scheut wie der Teufel das Weihwasser, Erfolge feiern kann. Bei der Vorwahl in Iowa wurde Sanders nur knapp von Clinton geschlagen. Verschafft sich hier nur eine allgemeine Verbitterung über die Verhältnisse Raum oder sind die USA nun plötzlich nach links gerückt?
Sanders profitiere freilich von einer diffusen Unzufriedenheit, sagt der Politologe Reinhard C. Heinisch, der von 1986 bis 2009 in den USA lebte und lehrte. Gleichzeitig müsse sein bisheriges gutes Abschneiden in der richtigen Relation gesehen werden. Sanders hatte in New Hampshire eine Art Heimspiel, weshalb Clinton hier durchaus eine Niederlage eingepreist habe, "wenn auch nicht in dem Ausmaß". Denn Sanders ist Senator des Nachbarstaats Vermont. "Dieser regionale Effekt wird durch eine etwas liberalere Orientierung der Bevölkerung in diesem Teil Neuenglands verstärkt", sagt der Leiter des Instituts für Politologie
an der Universität Salzburg im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".
Nur ein Ausschnitt
Und noch ein entscheidender Punkt kommt laut Heinisch hinzu: Der 74-jährige Sanders ist vor allem an Universitäten populär. Und in New Hampshire, wie schon zuvor in Iowa, ließen sich "sehr viele College-Kids und Studenten in den großen Universitätsstädten mobilisieren", berichtet Heinisch. Diese sind oft auch diejenigen, die sich in den Kampagnen überdurchschnittlich engagieren.
Eine Vorwahl verzerrt die Verhältnisse unter der Wahlbevölkerung, an ihnen beteiligt sich immer nur ein kleiner Teil der Wählerschaft, und Studenten sind hier besonders repräsentiert.
Das heißt aber nicht, dass Sanders nur von schwärmerischen Kommilitonen unterstützt wird. Der Sohn einer polnisch-jüdischen Einwandererfamilie, der im New Yorker Stadtteil Brooklyn aufwuchs, profitiert auch davon, dass linke Positionen in der Demokratischen Partei in den letzten Jahren an Zuspruch gewonnen haben, sagt Heinisch. Die Gründe dafür sind die ökonomische Unsicherheit, die Finanzkrise und die Kritik an der Gier der Börsianer, die in den Protesten der Occupy-Wall-Street-Bewegung Ausdruck fanden.
Das färbt auch auf Hillary Clinton ab. Diese, eine Politikerin der Mitte, muss sich nun im Vorwahlkampf durch die von Sanders losgetretene Dynamik ständig linken Positionen stellen. Und überhaupt ist es ein Dilemma für die ehemalige Außenministerin, wie sie auf den Aufstieg dieses Konkurrenten reagieren soll.
Denn dieser bietet durchaus Angriffsflächen: So stellt ausgerechnet die National Rifle Association (NRA) Sanders kein allzu schlechtes Zeugnis aus, da er in Fragen der Waffengesetzgebung oft rechte Positionen einnahm. Zudem hat Sanders immer die Position des Außenseiters einnehmen können, musste nie Entscheidungen mit Tragweite für das ganze Land treffen. Aber wenn Clinton hier in die Offensive geht, "dann gilt sie genau wieder als Vertreterin jenes Establishments, das jeden angreift, der ihm in die Quere kommt", sagt Heinisch.
Andere Voraussetzungen
Trotzdem bleibt fraglich, ob Sanders weiter auf der Erfolgswelle reiten kann. In großen industriellen Flächenstaaten wie Ohio scheint Clinton bei den Arbeitern viel besser anzukommen. Zudem ist sie laut Umfragen bei Minderheiten viel populärer - weshalb Sanders mit Al Sharpton am Mittwoch gleich einen schwarzen Bürgerrechtsaktivisten traf.
New Hampshire ist sehr weiß und sehr liberal - South Carolina, wo die nächsten Vorwahlen stattfinden, ist viel konservativer, und es leben dort viel mehr Afro-Amerikaner. Dann folgt der "Super Tuesday", an dem am 1. März in 12 Bundesstaaten gewählt wird. "Hier wird sich nun zeigen, wie tragfähig der Erfolg von Sanders ist", sagt Heinisch.