Ein Pastoralassistent und seine Plattform: "Solidarität 23" versucht das Flüchtlingsthema zu entschärfen.
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Wien. Das Flüchtlingsheim in der Ziedlergasse im 23. Bezirk verursachte in den vergangenen Monaten viel Aufregung. Bezirkspolitische Kämpfe, lebhafte Bürgerversammlungen und Pro- und Contra-Demonstrationen gingen dem Einzug von Asylwerbern voraus. In genau dieser Zeit versuchte der gebürtige Bayer Michael Beer ein wenig von der Anspannung im Bezirk zu lösen und gründete mit Gleichgesinnten die Plattform für ein "Mit- statt einem Gegeneinander". Der Name: "Solidarität 23".
Michael Beer ist kein Bayer auf Abwegen. Der Pastoralassistent lebt seit 15 Jahren in Wien. In seiner Pfarre Wohnpark Alterlaa hat er vor allem mit den Anrainern zu tun. Beer kennt ihre Sorgen und Ängste und kümmert sich um sie. Nun möchte er nicht nur geflohenen Menschen helfen, sich sozial hierorts zurechtzufinden, sondern auch eine Brücke zwischen "besorgten Bürgern" und den Schutzsuchenden bilden.
Es begann alles vor zwei Jahren. "Wir hatten die Idee, gemeinsam mit den Pfadfindern ein Fest zum Thema Solidarität zu veranstalten. Es haben sich dann sehr viele Clubs und Vereine gemeldet, die mitmachen wollten. Aus dieser klein konzipierten Veranstaltung ist dann eine recht große Sache geworden", erzählt Beer, "mit Vertretern aus der muslimischen, evangelischen und katholischen Gemeinde, Nachbarschaftsvereinen und einem Jugendzentrum". Am 24. Jänner 2015 gab es anschließend eine große Feier. "Um unsere Aktion zu bewerben und die Leute zu vernetzen, haben wir die Facebook-Seite ‚Solidarität 23‘ gegründet", so Beer.
Kein Ende nach dem Ende
Nachdem das Fest vorbei und als großer Erfolg zu werten war, dachten Beer und seine Bekanntschaften mitnichten daran, die Seite zu schließen oder "verkommen" zu lassen. "Wir wollten weiterhin im 23. Bezirk diverse unterschiedliche Initiativen bewerben. Mit dem Start des Flüchtlingsquartiers in der Ziedlergasse begann ja für uns die große Herausforderung, Menschen, die sich engagieren wollen, zusammenzubringen. Deshalb die Fortführung unserer Plattform."
Während man den Eindruck gewinnen könnte, zu den Aufgaben von "Solidarität 23" zähle vorrangig die Vernetzung von hilfsbereiten Menschen, so greift diese Sichtweise zu kurz. Abseits der Zusammenführung hilfsbereiter Menschen spielen Spenden-Organisationen und in weiterer Form ein Abbau der "Bürgersorgen" eine tragende Rolle, wie im Gespräch mit Beer klar wird.
Der 38-Jährige steht als Administrator mit den Johannitern, die das Flüchtlingsheim betreiben, in engem Kontakt und weiß stets genau, was benötigt wird. Dieses Wissen teilt er mit seinen "Followern" (aktuell mehr als 600) auf seiner Facebook-Seite "Solidarität 23" und schon laufen Spenden an. "Eine der aktuellen Aufrufe fand nach den Osterferien statt. Im Heim eingeschulte Kinder benötigten dringend Schulsachen, weil sie ja gar nichts haben. Keine Hefte, Stifte oder Schultaschen. Davor haben wir um Babysachen gebeten. Es gibt einige Babys im Heim, das jüngste ist jetzt einen Monat alt und im April soll wieder eines zur Welt kommen."
Soweit die Vorgangsweise der Spendenaufrufe. Für die Spannungen im Bezirk bedarf es jedoch einen langfristigeren Ansatz, weiß Beer. Er bezeichnet die große Demonstration Mitte März als "Showdown", nach dessen Ende sich die Lage im Bezirk zum Glück etwas entspannt habe. "Es wurden ja Schreckensszenarien prognostiziert, Links gegen Rechts, aber es blieb alles friedlich. Jetzt geht es darum, wie wir für die Menschen im Bezirk und für die Flüchtlinge möglichst gute Bedingungen schaffen können."
Fern der Proteste
Ein Teil der damaligen Deeskalationsstrategie war es, so Beer, die Proteste so weit wie möglich vom Heim wegzuhalten, um den frisch Eingezogenen ein dramatisches Erlebnis der Ablehnung Hunderter oder Tausender zu ersparen. Ideen, wie eine Menschenkette um das Haus zu bilden, fielen dieser Vorsicht zum Opfer. Der Kirchenmann versteht die Verwunderung mancher Liesinger, da es am Anfang geheißen hat, dass rund 750 Flüchtlinge im ehemaligen Bürogebäude aufgenommen würden. "Aktuell sind aber nur knapp 100 Menschen eingezogen, davon die Hälfte Kinder. Ich denke, dass es auch gut war, dies Schritt für Schritt anzugehen und nicht gleich mit sechs- oder siebenhundert Menschen begonnen zu haben", so Beer. "Auch dass man transparent vorgegangen ist, Information verbreitet und Anrainer mit ins Boot genommen hat, war enorm wichtig. Das funktioniert bisher sehr gut. Man muss sagen, dass sich die Wogen ein wenig geglättet haben und die Menschen schon etwas beruhigter sind."
Um auch weiterhin die Sorgen der Bürger zu erreichen, brauche es, so der Pastoralassistent, einen Maßnahmenmix. Dazu zählt Beer reichhaltige Informationsmöglichkeiten, wie zum Beispiel die Homepage der Johanniter, Bürgerversammlungen oder Berichte in verschiedenen Medien. Als Kernteil des Erfolgsrezeptes, um Ängste und Sorgen zu verringern, sieht der Plattform-Gründer auch eine gute Unterbringung der Flüchtlinge. "Wo Menschen zusammenleben, läuft nicht immer alles harmonisch. Es ist normal, dass es Komplikationen gibt. Die Frage ist da nur, wie man damit umgeht. Ich glaube, dass man den Verunsicherern und Hetzern, die es auch gibt und die die ganze Situation aufstacheln oder politisch nutzen wollen, am besten den Wind aus den Segeln nimmt, indem man ihnen das Miteinander der Leute zeigt."
Diese Kooperationsidee steht natürlich einem gewissen Problem gegenüber: dem Fremden. "Was für Leute kommen da?" ist eine der Fragen, die von Anrainern oft gestellt wird. Hierbei wird laut Beer ebenfalls sehr transparent gehandelt. "Der Vorteil war, dass die Flüchtlinge bereits von anderen Quartieren zu uns gekommen sind und mit den Regeln daher vertraut waren. Es sind keine gänzlich Unbekannten gewesen, sondern man hat bereits einige Wochen mit ihnen zusammengearbeitet. Vorwiegend Familien mit kleinen Kindern."
Only Bad News Are Good News
Der Eindruck, der über die Flüchtlings-Thematik - nicht bloß im Bezirk - entstehen könnte, wenn man sich hauptsächlich auf sozialen Medien darüber informiert, ist problematisch. Das weiß auch Beer: "Es ist ein Phänomen, dass im sozialen Netz negative Nachrichten und ‚verunsicherndes Gedankengut‘ sehr schnell verbreitet wird. ‚Hass-Postings‘ und dergleichen werden ja hundertfach geteilt. Auch in diesem Zusammenhang ist unser Netzwerk zu sehen, das offensiv gute Nachrichten und positive Beispiele unter die Leute bringen möchte. Es gibt sehr viel Gutes, das zu wenig an die Oberfläche gespült wird."
An dieser Stelle prangert Beer eine "falsche Bescheidenheit" und ein weiteres Problem der Hilfsbereitschaft an: "Leute, die helfen wollen, möchten sich nicht in den Vordergrund schieben. Die machen das still und heimlich. Sie versuchen sich zu schützen, weil sie massiv angefeindet werden. Auch ich habe derartige E-Mails im beruflichen Kontext oder persönliche Nachrichten auf Facebook erhalten. Wirklich bedroht wurde ich nicht, aber Einschüchterungsversuche gab es schon."
Ein Patentrezept, wie man damit umgehen soll, wenn man für seine Hilfe attackiert wird, gibt es laut Beer nicht. "Bei manchen Menschen merkt man, die sind zwar wütend, aber nicht voller Hass. Dann kann man versuchen, das Gespräch zu suchen. Bei Anderen weiß man aber schon, dass sie gar nicht reden, sondern nur ihre eigene Botschaft bei mir anbringen wollen. Da kommt man dann oft zu keinem Ergebnis." Aber, so Beer, es würde eine Vielzahl von Personen geben, "die man mit Informationen und durch Reden beruhigen kann".
Beer investiert sehr viel Kraft und Zeit in sein Projekt, das er gerne als Informationskanal bezeichnet. Und er möchte weitermachen. Trotz Drohnachrichten und Einschüchterungsversuchen, denkt der 38-Jährige an eine Sache, die für ihn der wesentliche Punkt ist und vielen nicht klar genug zu sein scheint: "Jetzt richtig zu handeln ist wichtig für das Zusammenleben später."
Der Umgang mit Geflohenen ist für den Pastoralassistenten kein Luxus- oder Randthema, sondern für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft etwas Existenzielles. "Wenn das Schwarz-Weiß-Denken dominiert, kommt es zu einer Spaltung. ‚Entweder, du bist dafür oder du bist dagegen‘. Es gibt aber auch ganz viele Menschen, die sich schwer tun eine Meinung zu bilden und die das Ganze differenzierter sehen wollen", so Beer. "Sie wissen, dass es nicht nur ‚die Guten‘ und ‚die Bösen‘ gibt, sondern einfach auch viel dazwischen. Ich fürchte, dass sich Fronten auftun, die die Leute ‚auseinanderdividieren‘. Dies mag in der öffentlichen Meinung bereits zur Gänze geschehen sein, aber im Alltag und in der Freizeit, wo Menschen miteinander leben, merke ich, dass es ist nicht so extrem ist, wie es scheint. Radikal wird es nur dann, wenn von jemandem verlangt wird, sich zu positionieren. Da gibt es oft nur dieses ‚Entweder-Oder‘. In der Realität erkennt man aber eine sehr große Vielfalt", sagt Beer.
Der Abbau dieser Extreme ist sein langfristiges Ziel. Dies könne nur durch Transparenz, Interaktion, Verständnis und Geduld gelingen. Die emotionale Stimmung beim Flüchtlingsthema dürfe man nicht weiter ausufern lassen. "Meiner Erfahrung nach können wir noch lange nicht von ‚Bürgerkriegsszenarien‘ sprechen - allerdings kann man nie wissen, ob durch Panikmache nicht letztendlich auch bei uns Menschen an die Macht kommen, die unser Demokratieverständnis gefährden. Dem müssen wir alle mit einem Miteinander entgegenwirken."
Nachbarschaftsinitiative Ziedlergasse
T: 01/9442806 oder 06991 9442806
agendaliesing.at
Auch ehrenamtliche Mitarbeiter können sich melden, um Flüchtlinge aktiv zu unterstützen (Sprachunterricht, Lernhilfe, Sonstiges).
Weitere Anfragen bei Johanniter:
T: 0676 83 112 842, Sachspenden werden Mo bis Fr von 8 bis 18 Uhr entgegen genommen.
Den konkreten Bedarf an Spenden kann man unter facebook.com/solidaritaet23 einsehen.