Auch Wien folgt dem Trend zur "Entertainment-City" - mit einer Vielzahl an Festivals, Inszenierungen und Ausstellungen im öffentlichen Raum.
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Das kürzlich von Gery Keszler verkündete Ende des Life Balls hat es einmal mehr deutlich gemacht: Die Eventisierung des öffentlichen Raumes ist längst auch in Wien zur Selbstverständlichkeit geworden, zu einem bedeutsamen kulturellen und wohl auch wirtschaftlichen Faktor. Läuft ein derart renommierter Fixstarter im jährlichen urbanen Veranstaltungskalender aus, wie der seit mehr als einem Vierteljahrhundert bestehende Megaevent zugunsten der Aids-Hilfe, wird dies von vielen als unwiderbringlicher Verlust erlebt. Zumal die Ausstrahlung dieses außergewöhnlichen Ereignisses, das sich von Beginn an als bunt, exaltiert und vor allem auch politisch verstand, weit über die österreichische Hauptstadt hinaus reichte, man damit letztlich weltweite Aufmerksamkeit genoss.
Eine zweifellos beachtenswerte Aufbauleistung in unserer zunehmend kompetitiven und markenorientierten Zeit. Wien war mit dem Life Ball auf der internationalen Landkarte präsent, er passte perfekt zum Image der Kulturmetropole an der Donau und veranschaulichte so ganz nebenbei, wie sehr sich die Stadt und das Lebensgefühl in ihr in den letzten Jahrzehnten verändert hatte. Alt und Neu in perfekter Symbiose.
Öffentliche Spektakel
Dass die Straßen und Plätze der Metropolen zu Schauplätzen von Großveranstaltungen werden, ist natürlich nicht neu. Allein die Anlässe und Häufigkeiten der Ereignisse und damit zusammenhängend das Verständnis von Urbanität haben sich grundlegend gewandelt. Schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als die westlichen Großstädte sich - teils in rasendem Tempo - herauszubilden begannen, kam dem öffentlichen Spektakel eine immer wichtigere Bedeutung zu. Die Kulturwissenschafterin Regina Bittner bringt hier den Begriff der "urbanen Paradiese" ein, die sich in den verschiedensten Ausprägungen manifestierten, von High-Tech-Vergnügungsparks und modernen Warenhäusern bis hin zu groß inszenierten Festen und Weltausstellungen.
Schon damals ging es angesichts steigender Städtekonkurrenz um Repräsentation und die Suche nach klarer Unterscheidbarkeit, gepaart mit dem Faszinosum von Differenz und Vielfalt, des Aufeinanderprallens von Vertrautem und Fremdem. Der deutsche Architekt August Endell proklamierte in seinem berühmten, 1908 erschienen Buch eine Lobeshymne auf ebendiese "Schönheit der großen Stadt": "Unsere Städte leben, sie umgeben uns mit der ganzen Macht der Gegenwart, des Daseins, des Heuteseins. Und gegen ihre bunte Unendlichkeit ist alle Überlieferung, sind auch die kostbarsten Trümmer tot, gespenstig und arm. Unsere Städte sind uns so unerschöpflich wie das Leben selbst."
Der im modernen Städtebau neu konzipierte öffentliche Raum rezipierte dieses Bestreben nach umfassender Selbstdarstellung, indem er in den imperialen Zentren breite Boulevards und großzügig angelegte Plätze vorsah. Sie dienten in der Folge als repräsentative Kulisse für jene Großveranstaltungen, die zumeist im Dienste der Herrschenden standen. Kaiserliche Geburtstage, Hochzeiten und Thronjubiläen etwa fungierten als Anlässe für prächtige Umzüge und Massenspektakel. In Wien waren es beispielsweise der opulente Makart-Festzug des Jahres 1879 anlässlich des 25. Hochzeitstags des Kaiserpaares. Oder die Jahre 1898, 1900 und 1908, in denen - ebenfalls für Kaiser Franz Joseph - groß angelegte Events abgehalten wurden, die sich über die festlich geschmückte Ringstraße und weite Bereiche der Innenstadt erstreckten. Spektakuläre Einzelereignisse, die hunderttausende Menschen in ihren Bann zogen, schon damals geschickt vermarktet wurden und sich tief in das kollektive Gedächtnis der Stadt einprägten.
Politische Aufmärsche
In der republikanischen Stadt der Zwischenkriegszeit verstärkte sich die Politisierung des öffentlichen Raumes weiter. Aufmärsche der sich formierenden Massenparteien, aber auch Demonstrationen und teils gewaltsame Auseinandersetzungen gehörten im Roten Wien zum Alltag. Jährliche Höhepunkte waren die Maikundgebungen von Arbeiterschaft und Sozialdemokratie, die Ringstraße und Prater propagandawirksam in Besitz nahmen. Hinzu kamen groß inszenierte Sport- und Kulturevents wie der Schwimm- und Ruderwettbewerb "Quer durch Wien", dem am Donaukanal hunderttausende Zuschauer beiwohnten, und die Wiener Festwochen, die der touristischen Belebung der Stadt dienten und teils aufwendig inszenierte Open-Air-Veranstaltungen beinhalteten, etwa den im Juni 1929 abgehaltenen Gewerbefestzug.
Ringstraße und vor allem Heldenplatz blieben bekanntermaßen auch die wichtigsten politischen Bühnen im austrofaschistischen Ständestaat und in der NS-Zeit. Ehe sich nach Ende des Zweiten Weltkrieges und erfolgreichem Wiederaufbau allmählich eine deutlich entpolitisierte, mehr konsum- und freizeitorientierte Nutzung des Stadtraumes abzeichnete. Allerdings zunächst noch mit starker Stimulanz der politischen Parteien. Als Nachkriegspionier gilt das von der KPÖ initiierte Volksstimmefest, das 1946 erstmals im Praterstadion und in den Folgejahren - bis heute - auf der Jesuitenwiese abgehalten wurde.
Die SPÖ reaktivierte ihre Maikundgebungen und ab 1951 starteten erneut die Wiener Festwochen mit einem umfangreichen mehrwöchentlichen Kulturprogramm. Im Jahr 1975 wurde der Christkindlmarkt auf den Rathausplatz verlegt, wo er sich rasch als beliebter Winterevent etablierte. Die ÖVP wiederum konnte erst Jahrzehnte später, mit Erhard Busek und seinen "Bunten Vögeln", veranstaltungsmäßige Akzente setzen. Sie begründete 1978 das Wiener Stadtfest, dessen Darbietungen in der Innenstadt sogleich großen Anklang fanden, sowie ab 1983 ein Lichterlfest am Donaukanal, das heutige Donaukanaltreiben.
Kaum mehr vorstellbar ist aus heutiger Sicht, wie leer und "unbespielt" der Wiener Stadtraum noch um 1980 herum war. Wien galt als "Shrinking City", die Einwohnerzahl der am Rand des Eisernen Vorhangs gelegenen Stadt sank kontinuierlich, kulturelle Impulse und Belebungen waren dringend angesagt. Das 1984 ins Leben gerufene Donauinselfest sollte in diese Richtung wirken und ein deutliches Signal an die Jugend sein, ebenso der im selben Jahr erstmals abgehaltene Vienna City Marathon. Doch erst die überwundene politische Teilung des Kontinents schuf ab 1989 jene Voraussetzung, die Wien erneut eine aufstrebende Entwicklung im Herzen Europas ermöglichte.
Der folgende Trend zur Reurbanisierung und die Herausbildung der postmodernen "Erlebnisgesellschaft" (Gerhard Schulze) leiteten sodann eine nachhaltige Festivalisierung des öffentlichen Raumes ein. Wien begann sich als weltoffene Stadt zu positionieren: Silvesterpfad (1990/91), Filmfestival am Rathausplatz (1991), Life Ball (1993) oder Regenbogenparade (1996) etablierten sich als publicityträchtige Massenevents, zahlreiche weitere folgten bis heute. Längst sind die traditionellen Veranstaltungszonen verlassen, und es werden auch Parks wie Augarten und Stadtpark miteinbezogen und weit entfernte Areale wie Schönbrunn oder Wienerwald eventisiert.
Wie andere westliche Städte ist auch Wien, so die Urbanistin Anette Baldauf in ihrer Analyse zu den Wechselwirkungen von Stadtentwicklung und Unterhaltungskultur, zur "Entertainment City" geworden: "Auf ihren Bühnen werden groß angelegte Shows inszeniert, das Städtische auf hyperbolische Weise aufgeblasen und Urbanität in ihrem Exzess ausgestellt. Alles Inszenierungen, die Superlative einfordern - die Stadt ist lauter, größer, MEHR."
Der öffentliche Raum fungiert als Kulisse, als begehrter Hintergrund für Public Viewings und Erlebnisraum für "Ausstellungen" im weitesten Sinne, mit dem erwünschten Nebeneffekt, dass das Gesamtimage der Stadt stets als "Product-Placement" mitpräsentiert wird. Die Dichte der Events ist mittlerweile auch in Wien gewaltig. Kaum ein Wochenende ist im Jahresverlauf noch frei von Großveranstaltungen. Am deutlichsten zeigt sich dies am Rathausplatz, der in seiner städtebaulichen Konfiguration, frei von Veranstaltungsmobiliar, nur mehr an wenigen Tagen im Jahr erlebbar ist.
Kampf um freie Plätze
Der zentrale Bereich vor dem Rathaus, ehemals Inbegriff von Bürgersinn und Bürgerstolz, ist zu einem kommerziell vermarkteten Areal geworden, zur beliebtesten Open-Air-Zone Wiens. Raum, so haben wir hier längst gelernt, ist knappes und demzufolge kostbarstes Gut in der Stadt, und gerade deswegen nicht frei von wirtschaftlichen und politischen Verwertungsinteressen. So stellt sich immer öfter die Frage, wem er denn eigentlich gehört und wer darauf Zugriff hat.
Die Ansprüche steigen, der Kampf um die letzten noch freien Flächen hat voll eingesetzt. "Platz da!", titelte vor Kurzem die deutsche Wochenzeitschrift "Die Zeit" und brachte damit die gestiegenen urbanen Konkurrenzverhältnisse auf den Punkt. Auch in Wien erhöhen die globalen Trends zu Verdichtung, Touristifizierung und Digitalisierung den Druck auf den öffentlichen Raum.
Gleichzeitig steht die "Stadt als Event" vor sich auflösenden traditionellen Machtverhältnissen. Oder, um im Bild von der Stadt als Ausstellung zu bleiben: Wir bewegen uns weg von einer Dauerausstellung hin zu temporären Ausstellungen, die - rasch wechselnd und interaktiv - unter Beteiligung der verschiedensten Akteure gestaltet werden wollen.
Was allerdings nicht heißen soll, dass man gut daran tut, bisher bewährte Konstanten über Bord zu werfen. Denn immerhin erzielte etwa der imageträchtige Life Ball allein in den letzten zehn Jahren eine Bruttowertschöpfung von mehr als 100 Millionen Euro für die Stadt. Weshalb denn auch Bürgermeister Michael Ludwig bereits sehr für seine Fortsetzung plädierte.
Peter Payer, geboren 1962, ist Historiker und Stadtforscher sowie Kurator im Technischen Museum Wien. Zahlreiche Veröffentlichungen, zuletzt "Der Klang der Großstadt. Zur Geschichte des Hörens, Wien 1850–1914" (Böhlau Verlag, 2018).