Das griechische Drama als Polit-Theater.
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Die Griechenland-Krise ist auch ein politisches Theater, dem wir seit Wochen beiwohnen. Eine Inszenierung, zu der beide Seiten ihren Teil beitragen. Wir hier sind das Publikum. Während die Leute in Griechenland Opfer, Akteure und Publikum in einem sind.
Die einen, die Gläubiger, vollführen einen ganzen Reigen: Ultimaten. Forderungen. Entscheidungen. Gipfel. Letzte Gipfel. Endgültig letzte Termine. Dienstag vor zwei Wochen war so ein endgültig letzter Termin. Oder der morgige Sonntag. Dazu die Liveticker der Zeitungen. Diese funktionieren wie ein Verstärker dieser Umwandlung von Zeit in Fristen, von Abläufen in Countdowns. Sie tragen dazu bei, willkürlich gewählte Fristen in unabwendbar endgültige Schlusspunkte zu verwandeln. Es sind nicht Monate noch, lässt Merkel wissen, sondern Tage. Die Liveticker ticken. Life tickt live. Im griechischen Drama wird eine vereinbarte Zeit in eine immer wieder aufgeschobene Endphase gezwängt. In eine dramatische, dramaturgische Zeit. Eine Inszenierung, die mit dem Druck gleichzeitig auch die Macht inszeniert. Die Macht der Gläubiger, Ultimaten zu stellen. Die Macht der Geldgeber, Forderungen zu erheben. Die Macht, einer Volkswirtschaft Vorgaben zu machen. Die Macht, eine Volkswirtschaft in einen Takt einzupassen. Den Takt des globalisierten Kapitalismus. Als ob ökonomische und politische Vernunft übereinstimmen würden. Als ob politische Vernunft noch ein Eigenleben führen würde. Jenseits der Ökonomie. Das ist die eine Inszenierung.
Die andere Inszenierung ist jene des Kampfes: der Kampf des Common Man gegen den Moloch Kapitalismus. Der Kampf von David gegen Goliath. Der Kleine gegen die Übermacht. Es ist aber auch die Inszenierung einer Übersetzung. Wenn die Leute, wenn die Griechen unter der gegebenen Situation leiden. Und wenn Arbeitslosigkeit, Armut, Aussichtslosigkeit sie nicht nur quälen, sondern auch wütend machen. Wenn sie auf dem Syntagma-Platz zusammenkommen. Wenn die Wut dort auftritt. Und wenn daraufhin die Aktienkurse in Asien fallen, dann sind das Kreisläufe, die für den Einzelnen nicht mehr nachvollziehbar sind.
Die Wut, ja - die ist da. Die Partei, die Vertreter, die Beauftragten dieser Wut, ja. Diese sollen nach Brüssel gehen und die Wut dort produktiv machen, ja. Aber dass die Emotion der Einzelnen die Aktienkurse am anderen Ende der Welt beeinflusst - das ist für die Menschen nicht nachvollziehbar. Hier kommt die Politik ins Spiel: als Übersetzung. Als Inszenierung der Übersetzung von ökonomischen Abläufen und Gesellschaft - von Aktienkursen und öffentlicher Emotion, von Leben und Bedingungen. Als Inszenierung von Veränderbarkeit, als Rückgewinnung der Handlungsmöglichkeit.
Da wird der griechische Premier zum compañero, den auch der letzte der alten linken Haudegen befeuert. Fidel Castros Jubelbrief an Alexis Tsipras hat was von einer Stafettenübergabe. Wesentlich aber ist, dass hier der alte politische Traum wiederbelebt wird - der Traum von der Handlungsmacht, der Handlungswirksamkeit. Von beiden Seiten.
Das ganze politische Theater, dem das Publikum seit Wochen beiwohnt, ist wie das Anschreien gegen das, was die grundlegendste politische Emotion seit Jahren ist: das bleierne Gefühl der "Antiquiertheit des Menschen".